• Blutgruppen
  • Thomas J. Golnik
  • 30.06.2020
  • Allgemeine Hochschulreife
  • Biologie
  • 11
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Blut­grup­pen
Ge­denk­ta­fel für Karl Land­stei­ner (Uni­ver­si­tät Wien)

Bei Blut­über­tra­gun­gen (Blut­trans­fu­sio­nen) zwi­schen ver­schie­de­nen Men­schen be­ob­ach­te­te man frü­her immer wie­der, dass diese manch­mal er­folg­reich wa-​ren, in an­de­ren Fäl­len je­doch miss­glück­ten, was oft den Tod der be­tref­fen­den Per­son zur Folge hatte.



Der ös­ter­rei­chi­sche Arzt Karl Land­stei­ner ent­deck­te im Jahre 1900 die Ur­sa­che des Miss­erfolgs: Er beob-​achtete, dass es bei der Ver­mi­schung des Blu­tes ver-​schiedener Per­so­nen oft zu einer Ag­glu­ti­na­ti­on (Ver­klum­pung) des Blu­tes kommt, die zur Bil­dung von Blut­ge­rinn­seln (Throm­bo­sen) füh­ren kann, wo-​durch es zur Ver­stop­fung von Blut­ge­fä­ßen und da-​mit zum Aus­fall der Ver­sor­gung nach­fol­gen­der Ge-​webe kam.



Land­stei­ner konn­te zei­gen, dass sich das Blut man-​cher Per­so­nen pro­blem­los ver­mi­schen lässt, wäh-​rend das Blut an­de­rer Per­so­nen bei der Vermi-​schung ag­glu­ti­niert. Er schluss­fol­ger­te dar­aus, dass es ver­schie­de­ne Typen von Blut geben muss, so­dass immer dann, wenn Blut des glei­chen Typs ge­mischt wird, keine Pro­ble­me auf­tre­ten, wäh­rend es beim Ver­mi­schen des Blu­tes ver­schie­de­ner Typen zur Ag-​glutination kommt. Damit ist Land­stei­ner der erste, der das Blut des Men­schen in Blut­grup­pen ein­teil­te.

Die von Land­stei­ner zu­nächst ent­deck­ten Blutgrup-​pen sind jene des so­ge­nann­ten AB0-​Systems. Mitt-​lerweile sind 34 wei­te­re Blut­grup­pen­sys­te­me aner-​kannt, von denen das Rhesus-​System bei Bluttrans-​fusionen auch stets be­ach­tet wer­den muss. Der Test zur Be­stim­mung der Blut­grup­pen eines Men­schen ist in der Durch­füh­rung sehr ein­fach: Er kann mithil-​fe eines „Bedside-​Tests“ (Test am Kran­ken­bett) erfol-​gen, bei dem keine La­bor­un­ter­su­chun­gen nötig sind, son­dern das Er­geb­nis un­mit­tel­bar ab­ge­le­sen wer­den kann. Je­weils ein Trop­fen Blut des Men­schen wird dabei auf eine spe­zi­ell prä­pa­rier­te Stel­le einer Test-​karte auf­ge­bracht. Durch Aus­wer­tung der Stel­len, an denen es zur Ag­glu­ti­na­ti­on kommt bzw. an denen sie un­ter­bleibt, kann die Blut­grup­pe ab­ge­lei­tet wer­den.



„Bedside-​Test“ zur Be­stim­mung der Blut­grup­pen.
Im ab­ge­bil­de­ten Bei­spiel kommt es bei den Testfel-​dern „Anti-​A“ und „Anti-​D“ zur Ag­glu­ti­na­ti­on, nicht je­doch beim Test­feld „Anti-​B“. Mit­hil­fe der ers­ten bei­den Test­fel­der kann die AB0-​Blutgruppe abgelei-​tet wer­den (hier: A), mit­hil­fe des drit­ten Test­felds der Rhe­sus­fak­tor (hier: rhesus-​positiv).

Was ge­schieht bei der Ag­glu­ti­na­ti­on?

Die Ag­glu­ti­na­ti­on des Blu­tes be­ruht auf einer Antigen-​Antikörper-Reaktion, die mit­hil­fe des Immunsys-​tems be­wirkt wird. Die­ses pro­du­ziert An­ti­kör­per: Pro­te­ine, die ei­gent­lich bei der Ab­wehr von Krankheits-​erregern hel­fen.

Prin­zip der Ag­glu­ti­na­ti­on

An­ti­kör­per be­sit­zen je­weils zwei Bin­dungs­stel­len, mit denen sie sich an nach dem Schlüssel-​Schloss-Prinzip pas­sen­de Ober-​flächenstrukturen von Zel­len an­la­gern kön­nen, die man in die-​sem Zu­sam­men­hang als An­ti­ge­ne be­zeich­net.



Da jeder An­ti­kör­per zwei gleich­ar­ti­ge An­ti­ge­ne bin­den kann, trägt er dazu bei, dass Viren und Bak­te­ri­en, deren An­ti­ge­ne zu sei­nen Bin­dungs­stel­len pas­sen, an die­sen hän­gen blei­ben; sie wer­den in ihrer frei­en Be­we­gung ein­ge­schränkt und kön­nen sich nicht wei­ter im Kör­per ver­brei­ten. Da immer mehr der Er-​reger ver­klum­pen, bil­den sich ganze Hau­fen aus Er­re­gen und An­ti­kör­pern, die von den Ma­kro­pha­gen (Fress­zel­len) des Im-​munsystems als Gan­zes auf­ge­nom­men und zer­stört wer­den kön­nen.



Im Falle der Ag­glu­ti­na­ti­on des Blu­tes han­delt es sich bei den An­ti­ge­nen um Ober­flä­chen­struk­tu­ren der Zell­mem­bran der Ery­thro­zy­ten (rote Blut­kör­per­chen); die An­ti­ge­ne be­fin­den sich im Blut­plas­ma (flüs­si­ger Teil des Blu­tes). Wel­che An­ti­ge­ne aus-​geprägt wer­den, ist ge­ne­tisch be­dingt. An­ti­kör­per bil­det das Im­mun­sys­tem nur sol­che, die bei den ei­ge­nen An­ti­ge­nen keine Ag­glu­ti­na­ti­on be­wir­ken kön­nen.

Das AB0-​System

Das Gen für die AB0-​Blut-gruppe liegt auf Chromo-​som Nr. 9. In sei­nen Kör-​perzellen be­sitzt jeder Mensch daher zwei Al­le­le für die Aus­bil­dung der An­ti­ge­ne. Die Al­le­le A und B be­wir­ken je­weils die Aus­bil­dung eines ei­ge­nen An­ti­gen­typs. Das Allel 0 führt nicht zur Ausbil-​dung von An­ti­ge­nen; es ist somit ge­gen­über den Al­le­len A und B re­zes­siv. Die Al­le­le A und B füh­ren im he­te­ro­zy­go­ten Fall zur Aus­bil­dung der An­ti­ge­ne A und B – sie sind kodo-​minant. Lie­gen für ein Gen mehr als zwei Allel-​typen vor (hier: A, B, 0), spricht man von multi-​pler Al­le­lie.

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Er­gän­zen Sie in der Ta­bel­le auf der vo­ri­gen Seite die je­weils mög­li­chen Ge­no­ty­pen! Be­rück­sich­ti­gen Sie dabei die In­for­ma­tio­nen im neben der Ta­bel­le ste­hen­den Text!
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Stel­len Sie eine Hy­po­the­se dazu auf, wie die Test­kar­ten für den „Bedside-​Test“ zur Blut­grup­pen­ana­ly­se (Seite 1) her­ge­stellt wer­den!

Auf­grund der Tat­sa­che, dass es sich bei der Blut­grup­pe um ein erb­li­ches Merk­mal han­delt, des­sen Phä­no­typ leicht be­stimmt wer­den kann, spielt der Ver­gleich der Blut­grup­pen im Zu­sam­men­hang mit Abstammungs-​gutachten („Va­ter­schafts­test“) nach wie vor eine wich­ti­ge Rolle. Hier­zu wer­den die Blut­grup­pen der Mut­ter, des Kin­des und des frag­li­chen Va­ters be­stimmt. In man­chen Fäl­len kann be­reits auf diese Weise eine Vater-​schaft des be­tref­fen­den Man­nes zwin­gend aus­ge­schlos­sen wer­den.

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Im Jahre 1943 wurde der Schau­spie­ler Char­lie Chap­lin von Joan Berry als Vater ihrer Toch­ter Carol Ann be­nannt. Als Chap­lin die Va­ter­schaft ab­stritt, ver­such­te Berry, diese ge­richt­lich fest­stel­len zu las­sen. Ein Blut­test wurde zwar durch­ge­führt, galt da­mals in Ka­li­for­ni­en je­doch noch nicht als Be­weis vor Ge­richt. Berry ge­wann den Pro­zess; Chap-​lin wurde im Jahre 1945 zu Un­ter­halts­zah­lun­gen für Carol Ann ver­ur­teilt; der jah­re­lan­ge Skan­dal­pro­zess hatte sei-​nem Ruf gro­ßen Scha­den zu­ge­fügt.

Die Er­geb­nis­se des Blut­tests:
Joan Berry – A
Carol Ann – B
Char­lie Chap­lin – 0

Be­grün­den Sie, ob das Ge­richt zu­tref­fend ge­ur­teilt hat!
Char­lie Chap­lin in sei­ner Rolle als Hyn­kel in „Der große Dik­ta­tor“ (1940)
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Lei­ten Sie ab, ob es mög­lich ist, dass die vier Kin­der eines Paa­res je­weils eine an­de­re Blut­grup­pe be-​sitzen!

Der Rhe­sus­fak­tor

Rhe­sus­af­fen

Im Jahre 1940 ge­lang Karl Land­stei­ner und Alex­an­der Wie­ner die Ent­de­ckung eines wei­te­ren Blut­grup­pen­sys­tems. Da für die Ex­pe­ri­men­te Ery­thro­zy­ten von Rhe­sus­af­fen ver­wen­det wur­den, nennt man es das Rhesus-​System.



Wie das AB0-​System be­ruht auch das Rhesus-​System auf der Exis­tenz eines An­ti­gens in der Mem­bran der Ery­thro­zy­ten, das hier An­ti­gen D ge­nannt wird. Die Ery­thro­zy­ten­mem­bran rhe-​sus-positiver Per­so­nen (Rh+) be­sitzt die­ses An­ti­gen, bei rhe-​sus-negativen Per­so­nen (rh–) ist es dort nicht vor­han­den.



Das Gen für den Rhe­sus­fak­tor liegt auf Chro­mo­som Nr. 1 – jeder Mensch be­sitzt hier also zwei Al­le­le. Da nur dann kein An­ti­gen D pro­du­ziert wer­den kann, wenn beide Al­le­le mu­tiert sind, und es somit ge­nügt, ein ein­zel­nes in­tak­tes Allel zu besit-​zen, um das An­ti­gen D syn­the­ti­sie­ren zu kön­nen, liegt ein do-​minant-rezessiver Erb­gang vor: D = Rh+, d = rh–.

Der Rhe­sus­fak­tor bei Blut­über­tra­gun­gen. An­ders als bei der AB0-​Blutgruppe be­sit­zen auch rhesus-​ne-gative Per­so­nen zu­nächst keine An­ti­kör­per gegen das An­ti­gen D. Ge­lan­gen je­doch Ery­thro­zy­ten mit die­sem An­ti­gen in den Blut­kreis­lauf die­ser Per­so­nen, so stellt das Im­mun­sys­tem als Ant­wort auf die als „fremd“ er­kann­ten An­ti­ge­ne nun An­ti­kör­per her, die nach dem Schlüssel-​Schloss-Prinzip an das An­ti­gen D bin-​den und somit zur Ag­glu­ti­na­ti­on ent­spre­chen­der Ery-​throzyten füh­ren kön­nen. Daher ist es bei Bluttrans-​fusionen wich­tig, nicht nur die AB0-​Blutgruppe, son-​dern auch den Rhe­sus­fak­tor zu be­stim­men.



Der Rhe­sus­fak­tor in der Schwan­ger­schaft. Eine be­son­de­re Kom­pli­ka­ti­on kann auf­tre­ten, wenn eine rhesus-​negative Frau ein rhesus-​positives Kind zur Welt bringt, denn die Ery­thro­zy­ten des Kin­des be-​sitzen das An­ti­gen D und kön­nen somit beim Im-​munsystem der Frau die Her­stel­lung von Antikör-​pern Anti-​D aus­lö­sen. Wäh­rend der Schwan­ger­schaft wird durch die so­ge­nann­te Pla­zen­ta­schran­ke der Über­tritt von Ery­thro­zy­ten des Kin­des in den Blut-​kreislauf der Mut­ter mehr oder we­ni­ger voll­stän­dig ver­hin­dert; bei der Ge­burt kann die­ser je­doch mit ge­rin­gen Men­gen des kind­li­chen Blu­tes in Kon­takt kom­men. Wenn das Im­mun­sys­tem der Mut­ter da-​raufhin Anti-​D-Antikörper bil­det, so be­fin­den sich diese fort­an in ihrem Blut­plas­ma. Bei einer wei­te­ren Schwan­ger­schaft mit einem er­neut rhesus-​positiven Kind kön­nen diese An­ti­kör­per in des­sen Kreis­lauf über­tre­ten und dort zu Ag­glu­ti­na­tio­nen füh­ren – eine Blut­ar­mut (An­ämie), schwe­re Entwicklungsstörun-​gen oder gar der Tod des Kin­des kön­nen die Folge sein.



Die me­di­zi­ni­sche Ge­gen­maß­nah­me gegen die­ses Phä­no­men wird als Anti-​D-Prophylaxe be­zeich­net. Rhesus-​negative Müt­ter er­hal­ten in der 28. Schwan-​gerschaftswoche sowie kurz nach der Ge­burt eine In-​jektion einer hoch­kon­zen­trier­ten Lö­sung von Anti-​D-Antikörpern. Diese ag­glu­ti­nie­ren sämt­li­che mögli-​cherweise in den Kreis­lauf der Mut­ter eingedrunge-​nen Ery­thro­zy­ten des rhesus-​positiven Kin­des, so-​dass die Bil­dung ei­ge­ner Anti-​D-Antikörper durch das Im­mun­sys­tem der Mut­ter un­ter­bleibt.

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Er­läu­tern Sie, wie es dazu kom­men kann, dass eine Mut­ter rhesus-​negativ, ihr Kind je­doch rhesus-​positiv ist!
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Im ne­ben­ste­hen­den Stamm­baum einer Fa­mi­lie sind bei ei­ni­gen Per­so­nen deren AB0-​Blutgruppe sowie ihr Rhe­sus­fak­tor an­ge­ge­ben. Lei­ten Sie die mög­li­chen Ge­no­ty­pen der Per­so­nen 2, 5 und 6 ab!
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Das Kell-​System ist ein wei­te­res Blut-​gruppensystem des Men­schen. Ähn­lich wie beim Rhesus-​System kann eine Per-​son kell-​positiv (Allel K) oder kell-​negativ (Allel k) sein. Bei einem Abstammungs-​gutachten er­mit­tel­te man die in der ne­ben­ste­hen­den Ta­bel­le an­ge­ge­be­nen Blut­ei­gen­schaf­ten. Geben Sie die mögli-​chen Ge­no­ty­pen der Per­so­nen hinsicht-​lich aller drei Sys­te­me an, und lei­ten Sie ab, ob der Ehe­mann als Vater des Kin-​des in Frage kommt!
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