Karl Eduard von Schnitzler: Der Anschlag auf den Frieden ist gescheitert
[DDR-Rundfunk, 18.6.1953]
Nach anderthalb Tagen wurde ein Abenteuer beendet, das den demokratischen Sektor Berlins zu einem Brandherd machen sollte, der zu einem Weltbrand hätte entfacht werden können. Je mehr Einzelheiten bekannt werden, je mehr sich die Nachrichten häufen, je mehr man die dokumentarischen Tatsachen zusammenstellt, desto unverwischbarer und klarer formt sich ein Bild der Vorgänge, das Folgendes deutlich werden läßt:
Es ging nicht um Normen, nicht um freie Wahlen, nicht um die Verbesserung des Lebensstandards, nicht um eine - wie immer geartete - Freiheit; sondern unter Mißbrauch des guten Glaubens eines Teils der Berliner Arbeiter und Angestellten, gegen grobe Fehler bei der Normerhöhung mit Arbeitsniederlegung und Demonstrationen antworten zu müssen, wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, aus die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht. Nicht weil Unzufriedenheit herrschte, haben Provokateure die Unruhen entfesselt, sondern weil von unserer Regierung und vom Politbüro der SED alle Maßnahmen und Schritte eingeleitet worden sind, um die Anlässe der Unzufriedenheit zu beseitigen, die Lebenshaltung unserer Werktätigen umgehend zu verbessern und Hindernisse für die Einheit Deutschlands wegzuräumen. Die Maßnahmen, die unsere Regierung auf Empfehlung des Politbüros der SED in der vorigen Woche eingeleitet hat, die prinzipielle Wendung unserer Politik haben die Zustimmung aller gefunden und eine überzeugende Wirksamkeit auf das westliche Ausland, auf Westdeutschland und vor allem auf Westberlin gezeitigt. Um diese, von allen Menschen mit Genugtuung aufgenommene Wendung zu durchkreuzen, um die eingeleitete schnelle Verbesserung der Lebenslage zu vereiteln, um den überzeugenden Beweis für den Willen unserer Regierung, alles für die Einheit Deutschlands zu tun, unwirksam zu machen, haben westdeutsche und amerikanische Friedensfeinde, haben die Politiker des Generalvertrages diese Aktion angestiftet.
Von langer Hand vorbereitet, nachweislich in den Hauptquartieren des BDJ in Westberlin und anderer faschistischer Organisationen unter Mitwirkung von Jakob Kaiser und seinen sogenannten Dienststellen organisiert und geleitet, mit der Absicht, diese Provokation bis zum Ende anzuwenden, das heißt aufs Ganze zu gehen, ist das anderthalbtägige Abenteuer das Werk des sogenannten Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Ernst Reuter. Auch sein Versuch, sich durch seine Abwesenheit von Westberlin in dem Augenblick, da er die von ihm gelegten Minen sprengen ließ, ein Alibi zu verschaffen, rettet Reuter nicht vor der mit den Aussagen von Zeugen und verhafteten Provokateuren bewiesenen Anklage, der Inspirator, der Anstifter dieses Verbrechens gegen die Berliner Bevölkerung zu sein. Es ist nur gesetzmäßig und natürlich, und es konnte gar nicht anders kommen, daß ein so ungeheuerlicher Anschlag zusammengebrochen ist.
Nach anderthalb Tagen wurde ein Abenteuer beendet, das den demokratischen Sektor Berlins zu einem Brandherd machen sollte, der zu einem Weltbrand hätte entfacht werden können. Je mehr Einzelheiten bekannt werden, je mehr sich die Nachrichten häufen, je mehr man die dokumentarischen Tatsachen zusammenstellt, desto unverwischbarer und klarer formt sich ein Bild der Vorgänge, das Folgendes deutlich werden läßt:
Es ging nicht um Normen, nicht um freie Wahlen, nicht um die Verbesserung des Lebensstandards, nicht um eine - wie immer geartete - Freiheit; sondern unter Mißbrauch des guten Glaubens eines Teils der Berliner Arbeiter und Angestellten, gegen grobe Fehler bei der Normerhöhung mit Arbeitsniederlegung und Demonstrationen antworten zu müssen, wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, aus die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht. Nicht weil Unzufriedenheit herrschte, haben Provokateure die Unruhen entfesselt, sondern weil von unserer Regierung und vom Politbüro der SED alle Maßnahmen und Schritte eingeleitet worden sind, um die Anlässe der Unzufriedenheit zu beseitigen, die Lebenshaltung unserer Werktätigen umgehend zu verbessern und Hindernisse für die Einheit Deutschlands wegzuräumen. Die Maßnahmen, die unsere Regierung auf Empfehlung des Politbüros der SED in der vorigen Woche eingeleitet hat, die prinzipielle Wendung unserer Politik haben die Zustimmung aller gefunden und eine überzeugende Wirksamkeit auf das westliche Ausland, auf Westdeutschland und vor allem auf Westberlin gezeitigt. Um diese, von allen Menschen mit Genugtuung aufgenommene Wendung zu durchkreuzen, um die eingeleitete schnelle Verbesserung der Lebenslage zu vereiteln, um den überzeugenden Beweis für den Willen unserer Regierung, alles für die Einheit Deutschlands zu tun, unwirksam zu machen, haben westdeutsche und amerikanische Friedensfeinde, haben die Politiker des Generalvertrages diese Aktion angestiftet.
Von langer Hand vorbereitet, nachweislich in den Hauptquartieren des BDJ in Westberlin und anderer faschistischer Organisationen unter Mitwirkung von Jakob Kaiser und seinen sogenannten Dienststellen organisiert und geleitet, mit der Absicht, diese Provokation bis zum Ende anzuwenden, das heißt aufs Ganze zu gehen, ist das anderthalbtägige Abenteuer das Werk des sogenannten Regierenden Bürgermeisters von Westberlin, Ernst Reuter. Auch sein Versuch, sich durch seine Abwesenheit von Westberlin in dem Augenblick, da er die von ihm gelegten Minen sprengen ließ, ein Alibi zu verschaffen, rettet Reuter nicht vor der mit den Aussagen von Zeugen und verhafteten Provokateuren bewiesenen Anklage, der Inspirator, der Anstifter dieses Verbrechens gegen die Berliner Bevölkerung zu sein. Es ist nur gesetzmäßig und natürlich, und es konnte gar nicht anders kommen, daß ein so ungeheuerlicher Anschlag zusammengebrochen ist.
Karl Eduard von Schnitzler: Der Anschlag auf den Frieden ist gescheitert
[DDR-Rundfunk, 18.6.1953]
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
Bericht der westdeutschen Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung
(FAZ) am 18. Juni 1953
Ausnahmezustand über Ost-Berlin verhängt
Am Mittwoch ist es in Ost-Berlin erneut zu Massendemonstrationen gegen die Regierung der sowjetischen Zone gekommen. […] Die Forderungen der Demonstranten lauteten: Rücktritt der Regierung, freie Wahlen, Senkung der Preise um fünfzig Prozent, Abschaffung der Arbeitsnorm, Freilassung der politischen Gefangenen. […] Die Demonstranten richteten auf ihrem Zuge Zerstörungen an, plünderten in einigen Fällen Geschäfte und legten Brände an. Um 13 Uhr wurde auf Befehl des Militärkommandanten des sowjetischen Sektors der Ausnahmezustand über den Sowjetsektor verhängt, die Betriebe besetzt und hohe Strafen über die Demonstranten angedroht. Ungefähr vierzig schwere Panzerwagen fuhren am Leipziger Platz, am Brandenburger Tor und an anderen wichtigen Punkten des Sowjetsektors auf. Auch motorisierte Kolonnen der Roten Armee mit Maschinenpistolen, Stahlhelmen sowie Panzerspähwagen beteiligten sich an der militärischen Besetzung.
Nach Erklärung des Ausnahmezustandes wurde von Sowjets und Volkspolizei aus Maschinengewehren und Karabinern am Leipziger Platz das Feuer auf die Menschenansammlungen eröffnet. An anderer Stelle wurde in die Luft geschossen, auch mit der Panzerkanone. Allein am Potsdamer Platz gab es drei Tote und fünfzehn Schwerverletzte, darunter eine Frau. […] Die genaue Zahl der Toten und Verletzten war noch nicht festzustellen. Die Generalstreikparole, die bei der Demonstration der dreitausend Arbeiter gegen die SED und die Normerhöhung am Dienstag ausgegeben worden war, hatten fast alle Großbetriebe in Ost-Berlin befolgt, so daß die Arbeit beinahe überall ruhte. […]
In einer Regierungserklärung über den Rundfunk wurde die Bevölkerung um 17 Uhr aufgefordert, die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung zu unterstützen. […] Die Erklärung war von Ministerpräsident Grotewohl unterzeichnet. Politische Kreise Berlins weisen darauf hin, daß nunmehr die Sowjets gezwungen sind, eine Entscheidung über das Verbleiben der Regierung in ihrer jetzigen personellen Zusammensetzung und die von ihr betriebene Politik zu fällen. Aus der Art dieser Entscheidung […] werde endgültig geklärt werden, was die Sowjets in Deutschland beabsichtigten, ob sie ehrlich eine gesamtdeutsche Lösung wünschten, indem sie die Regierung zum Rücktritt veranlaßten und freie Wahlen ausschreiben oder ob sie eine solche Lösung ablehnten, indem sie die Einheitspartei und ihre führenden Mitglieder stützen.
Ausnahmezustand über Ost-Berlin verhängt
Am Mittwoch ist es in Ost-Berlin erneut zu Massendemonstrationen gegen die Regierung der sowjetischen Zone gekommen. […] Die Forderungen der Demonstranten lauteten: Rücktritt der Regierung, freie Wahlen, Senkung der Preise um fünfzig Prozent, Abschaffung der Arbeitsnorm, Freilassung der politischen Gefangenen. […] Die Demonstranten richteten auf ihrem Zuge Zerstörungen an, plünderten in einigen Fällen Geschäfte und legten Brände an. Um 13 Uhr wurde auf Befehl des Militärkommandanten des sowjetischen Sektors der Ausnahmezustand über den Sowjetsektor verhängt, die Betriebe besetzt und hohe Strafen über die Demonstranten angedroht. Ungefähr vierzig schwere Panzerwagen fuhren am Leipziger Platz, am Brandenburger Tor und an anderen wichtigen Punkten des Sowjetsektors auf. Auch motorisierte Kolonnen der Roten Armee mit Maschinenpistolen, Stahlhelmen sowie Panzerspähwagen beteiligten sich an der militärischen Besetzung.
Nach Erklärung des Ausnahmezustandes wurde von Sowjets und Volkspolizei aus Maschinengewehren und Karabinern am Leipziger Platz das Feuer auf die Menschenansammlungen eröffnet. An anderer Stelle wurde in die Luft geschossen, auch mit der Panzerkanone. Allein am Potsdamer Platz gab es drei Tote und fünfzehn Schwerverletzte, darunter eine Frau. […] Die genaue Zahl der Toten und Verletzten war noch nicht festzustellen. Die Generalstreikparole, die bei der Demonstration der dreitausend Arbeiter gegen die SED und die Normerhöhung am Dienstag ausgegeben worden war, hatten fast alle Großbetriebe in Ost-Berlin befolgt, so daß die Arbeit beinahe überall ruhte. […]
In einer Regierungserklärung über den Rundfunk wurde die Bevölkerung um 17 Uhr aufgefordert, die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung zu unterstützen. […] Die Erklärung war von Ministerpräsident Grotewohl unterzeichnet. Politische Kreise Berlins weisen darauf hin, daß nunmehr die Sowjets gezwungen sind, eine Entscheidung über das Verbleiben der Regierung in ihrer jetzigen personellen Zusammensetzung und die von ihr betriebene Politik zu fällen. Aus der Art dieser Entscheidung […] werde endgültig geklärt werden, was die Sowjets in Deutschland beabsichtigten, ob sie ehrlich eine gesamtdeutsche Lösung wünschten, indem sie die Regierung zum Rücktritt veranlaßten und freie Wahlen ausschreiben oder ob sie eine solche Lösung ablehnten, indem sie die Einheitspartei und ihre führenden Mitglieder stützen.
Bericht der westdeutschen Tageszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung
(FAZ) am 18. Juni 1953
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
Ausschnitt aus dem Artikel Aufstand des 17. Juni 1953. Die Folgen des Aufstandes
, 17.05.2013
Im SED-Sprachgebrauch wird der Aufstand vom 17. Juni 1953 als eine von westlichen Provokateuren“ angezettelte Konterrevolution bezeichnet. (...)
Hetzer, Provokateure, Saboteure, Rädelsführer … sofort festzunehmen" sind. Einen Tag später differenziert er zwischen Streikleitungen mit politischen Forderungen, die ohne vorherige Prüfung festzunehmen seien und denjenigen Streikleitungen, die allein sozioökonomische Forderungen vertreten hätten, die ihrerseits erst nach Überprüfung der einzelnen Mitglieder zu verhaften seien.
Die SED setzt nicht nur auf Propaganda und Medienberichte. Allein bis zum Morgen des 6. Juli 1953 nehmen Polizei und MfS ca. 10.000 Personen im Zusammenhang mit dem Volkaufstand fest. Per Blitzfernschreiben weist der stellvertretende MfS-Minister Erich Mielke die MfS-Dienststellen am 18. Juni 1953 an, dass
Neben den DDR-Unterdrückungsorganen nehmen auch sowjetische Einheiten am 17. Juni und danach Verhaftungen vor. Sowjetische Militärtribunale (SMT) verhängen im Durchschnitt höhere Strafen als die DDR-Gerichte. Häufig werden Angeklagte zu langjähriger Zwangsarbeit in sowjetischen Straflagern, beispielsweise in Workuta, verurteilt. Fünf Todesurteile werden von Instanzen der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland gefällt, die genaue Zahl der Verurteilungen ist nicht bekannt. (...)
Um der Gefahr einer Wiederholung des Volksaufstandes besser begegnen zu können, setzt die SED auf die Verstärkung ihres Überwachungs- und Repressionsapparates. Wie eine Negativfolie stehen die Ereignisse des Volksaufstandes dafür Pate. Um mit mobilen Einsatzreserven in Ausnahmesituationen und gegen große Menschenmengen vorgehen zu können, werden der Volkspolizei 14.000 neue Stellen zugesprochen. Mit diesem Personal soll auch das bis dahin noch sehr lückenhafte Netz der Abschnittsbevollmächtigten (ABV) der Volkspolizei ausgebaut werden und die ABV als Früherkennungssystem im Kampf gegen oppositionelle Kräfte genutzt werden. Vor allem der direkte Kontakt in den privaten Lebensbereich soll so möglich werden, regelmäßige Besuche in den Haushalten und Stimmungsberichte für die Stasi sind erwünscht.
Im SED-Sprachgebrauch wird der Aufstand vom 17. Juni 1953 als eine von westlichen Provokateuren“ angezettelte Konterrevolution bezeichnet. (...)
Hetzer, Provokateure, Saboteure, Rädelsführer … sofort festzunehmen" sind. Einen Tag später differenziert er zwischen Streikleitungen mit politischen Forderungen, die ohne vorherige Prüfung festzunehmen seien und denjenigen Streikleitungen, die allein sozioökonomische Forderungen vertreten hätten, die ihrerseits erst nach Überprüfung der einzelnen Mitglieder zu verhaften seien.
Die SED setzt nicht nur auf Propaganda und Medienberichte. Allein bis zum Morgen des 6. Juli 1953 nehmen Polizei und MfS ca. 10.000 Personen im Zusammenhang mit dem Volkaufstand fest. Per Blitzfernschreiben weist der stellvertretende MfS-Minister Erich Mielke die MfS-Dienststellen am 18. Juni 1953 an, dass
Neben den DDR-Unterdrückungsorganen nehmen auch sowjetische Einheiten am 17. Juni und danach Verhaftungen vor. Sowjetische Militärtribunale (SMT) verhängen im Durchschnitt höhere Strafen als die DDR-Gerichte. Häufig werden Angeklagte zu langjähriger Zwangsarbeit in sowjetischen Straflagern, beispielsweise in Workuta, verurteilt. Fünf Todesurteile werden von Instanzen der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland gefällt, die genaue Zahl der Verurteilungen ist nicht bekannt. (...)
Um der Gefahr einer Wiederholung des Volksaufstandes besser begegnen zu können, setzt die SED auf die Verstärkung ihres Überwachungs- und Repressionsapparates. Wie eine Negativfolie stehen die Ereignisse des Volksaufstandes dafür Pate. Um mit mobilen Einsatzreserven in Ausnahmesituationen und gegen große Menschenmengen vorgehen zu können, werden der Volkspolizei 14.000 neue Stellen zugesprochen. Mit diesem Personal soll auch das bis dahin noch sehr lückenhafte Netz der Abschnittsbevollmächtigten (ABV) der Volkspolizei ausgebaut werden und die ABV als Früherkennungssystem im Kampf gegen oppositionelle Kräfte genutzt werden. Vor allem der direkte Kontakt in den privaten Lebensbereich soll so möglich werden, regelmäßige Besuche in den Haushalten und Stimmungsberichte für die Stasi sind erwünscht.
Ausschnitt aus dem Artikel Aufstand des 17. Juni 1953. Die Folgen des Aufstandes
, 17.05.2013
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27