Andrew Tate: Wie ein Manfluencer
junge Männer radikalisiert
Online-Artikel vom 12.03.2025 von Bernd Müller
Bukarest, Rumänien. 30. Mai 2024: Andrew Tate (L) und sein Bruder Tristan Tate (nicht im Bild) verlassen das Bukarester Berufungsgericht. Sie wurden der Vergewaltigung und des Menschenhandels bezichtigt.
(Bild: LCV / Shutterstock.com)
Andrew Tate ist derzeit der bekannteste Manfluencer
weltweit – also ein Influencer, der Inhalte zu den Themen Männlichkeit und Maskulinität produziert. Mit fast zehn Millionen Followern auf X (früher Twitter) und über dreizehn Milliarden Views seiner Videos auf TikTok hat der ehemalige Kickboxer eine enorme Reichweite, vorwiegend bei Jungen und jungen Männern.
Sein Einfluss wird als so schädlich für die Jugend und junge Erwachsene angesehen, dass ein Bundesstaat von Australien an Schulen eingeführt hat. Auch Wissenschaftler sind bemüht, den Nachweis zu führen, dass der Manfluencer
einen schlechten Einfluss auf die junge Generation hat.
So haben Forscher der Monash University im Januar eine entsprechende Studie vorgelegt. Sie analysierten seine schriftliche Kommunikation auf seiner Website und seinem Telegram-Kanal. Das Ergebnis: Tate verbreitet eine maskulinistische Ideologie
, die männliche Überlegenheit propagiert und Frauen herabwürdigt.
Dieses Resultat sollte aber mit Vorsicht betrachtet werden. Denn so sehr man Tates Ideologie auch ablehnt, so bleibt sie doch ein Spiegel unserer Gesellschaft. An drei Beispielen kann dies dargelegt werden.
Für Tate muss ein richtiger Mann
laut Studie reich, mächtig und körperlich stark sein. Er muss dominant und aggressiv auftreten, hart arbeiten und traditionelle männliche Werte verkörpern. Männer ohne diese Eigenschaften bezeichnet er demnach als Versager
oder Feiglinge
.
Tate propagiere die Idee, heißt es in der Studie, dass Männer von Natur aus dazu geboren seien, zu kämpfen. Jeder Mann habe den inneren Drang, zu kämpfen, und dieser Drang sei ein wesentlicher Bestandteil der Männlichkeit. So schrieb er laut Studie in seinem Telegram-Kanal: Männer wurden geboren, um zu kämpfen. Jeder einzelne Mann kämpft. Er will kämpfen, er trainiert, um zu kämpfen … Die Männer, die diesen Kriegerdrang nicht fühlen, sind einfach keine Männer.
Dass er aber damit Gewalt idealisiere, wie es ihm in der Studie vorgeworfen wird, erschließt sich allerdings nicht so einfach. Denn in der Marktwirtschaft sind zwei Synonyme von Kampf
– Wettbewerb
und Konkurrenz
– omnipräsent und werden als Tugenden gefeiert.
Und wie ein Mann nach Tate seine Weihen im Kampf erhält, so schafft in der westlichen Gesellschaft derjenige den sozialen Aufstieg, der sich dem Wettbewerb mit anderen stellt. Während Tate davon spricht, dass ein Mann für den Kampf trainiere, und deshalb kritisiert wird, locken zahllose Bücher und Coachings damit, sich mit Rhetorik, dunkler Psychologie oder anderen Kenntnissen eine bessere Stellung im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen.
Für den aufgeklärten Geist wirkt es allerdings reaktionär, dass Tate Frauen als den Männern untergeordnet ansieht. Sie sollen traditionelle Rollen erfüllen, Männern dienen und sie unterstützen. Oft beschreibt Andrew Tate sie laut Studie als Objekte, die starke Männer
besitzen können. Ihre Identität definiere sich über ihre Beziehung zu Männern, die ihnen Schutz und Führung bieten.
Aber auch dieser Kritikpunkt wirkt in religiös geprägten Gesellschaften, und damit auch in westlichen Ländern, anachronistisch. Schon die Bibel weist den Frauen eine klare und dem Mann nicht gleichberechtigte Rolle zu. So heißt es etwa (Gen 2, 21 – 2,23):
Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes. Aber eine Hilfe, die dem Menschen entsprach, fand er nicht.
Da ließ Gott, der Herr, einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, sodass er einschlief, nahm eine seiner Rippen und verschloss ihre Stelle mit Fleisch.
Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und führte sie dem Menschen zu.
Die Frau wurde, wie in der Bibel deutlich gemacht wird, als Gehilfe des Menschen geschaffen – und nicht als Mensch. Darauf hatten Feministen früherer Jahrzehnte hingewiesen, aber heute scheint die Religionskritik dem Feminismus verloren gegangen zu sein.
Von Fifty Shades of Grey oder Twilight muss man gar nicht erst sprechen. Diese Machwerke sind Beispiele dafür, dass toxische Männlichkeit
längst zur Popkultur gehört, ein Millionenpublikum anspricht und auch bei Frauen für Begeisterung sorgt.
Die Studie bleibt aber bei Tate stehen und scheut den Vergleich. Und so warnt sie: Tates Botschaften seien besonders gefährlich für junge Männer, die nach Orientierung suchen. Er verbinde traditionelle Männlichkeitsideale mit frauenfeindlichen und diskriminierenden Ansichten. Seine Inhalte könnten ein Einstieg in extremistische Ideologien sein.
Wie eine Umfrage von Internet Matters
aus dem Jahr 2023 zeigt, ist Andrew Tate vielen ein Begriff. Rund 59 Prozent der 9- bis 16-Jährigen kennen ihn, bei den 15- bis 16-Jährigen sind es sogar 75 Prozent. Besonders Jungen im Alter von 15 bis 16 Jahren (23 Prozent) wissen viel über ihn und stehen ihm positiv gegenüber.
In Fokusgruppen mit Eltern und Jugendlichen berichteten Jungen, wie allgegenwärtig Tates Inhalte in ihren Social-Media-Feeds sind. Selbst wer nicht aktiv nach ihm sucht, bekommt seine Videos von den Algorithmen vorgeschlagen. Das macht es schwer, sich seinem Einfluss zu entziehen.
Überraschenderweise hat auch ein großer Anteil der Väter eine positive Einstellung zu Tate. Ein Drittel sieht ihn positiv, bei jüngeren Vätern zwischen 25 und 34 Jahren sind es sogar 56 Prozent. Das ist laut Internet Matters
bedenklich, da Eltern eine zentrale Rolle dabei spielen, ihre Kinder über Frauenfeindlichkeit und schädliche Online-Einflüsse aufzuklären.
Andrew Tate ist ein prominentes Mitglied der sogenannten Manosphäre
– einer losen Sammlung von Online-Communitys, die vereint sind in ihren teilweise hasserfüllten Ansichten über Frauen. Dazu werden Männerrechtler, Incels (unfreiwillig zölibatär
), Pick-Up-Artists und andere frauenfeindliche Gruppen gezählt.
Was die Manosphäre so gefährlich macht: Sie bietet frustrierten jungen Männern einen Deutungsrahmen für ihre Probleme. Statt die wahren Ursachen, wie wirtschaftliche Unsicherheit, zu benennen, macht sie Feministen und die Gleichstellung der Geschlechter zu Sündenböcken, schreiben die Forscher der Monash University.
Tate bedient sich ähnlicher Narrative. Er gibt jungen Männern das Gefühl, dass sie die Opfer eines feministischen Systems sind, das sie unterdrückt. Gleichzeitig verspricht er ihnen Macht, Reichtum und Erfolg bei Frauen, wenn sie seinen Ratschlägen folgen und zu echten Männern
werden.