D2) Die Städtische Revolution
Die Städtische Revolution beschreibt eine Volksrevolution der Stadtbürger, bei der die Bürger die Verwaltungen der Städte übernahmen. Sie besorgten sich Waffen, zogen Polizei, Justiz und Lebensmittelversorgung und schufen Nationalgarden, um ihre Interessen vor der Macht des Königs zu wahren. Der wohl wichtigste Teil der Städtischen Revolution war der Pariser Aufstand 1789.
Nachdem der König zunächst der Gründung einer Nationalversammlung und der Ausarbeitung einer Verfassung am 27. Juni 1789 zugestimmt hatte, verbreiteten sich Anfang Juli in Paris Gerüchte, dass dieser königliche Truppen nach Paris beordert hätte, um die revolutionären Bestrebungen zu verhindern. Das würde die sowieso schlechte Ernährungslage in Paris noch verschlimmern und den Hoffnungen auf wirtschaftliche Erleichterungen für den 3. Stand ein Ende bereiten. Als sich königliche Truppen tatsächlich vor Paris versammelten und der reformfreudige Minister Jacques Necker entlassen wurde, brachte dies das Fass zum Überlaufen. Ein gewaltsamer Aufstand brach aus und die Pariser Stadtbevölkerung griff zu den Waffen. Am 14. Juli 1789 gipfelte dieser Aufstand im Sturm auf die Bastille. Nachdem man sich am Morgen Waffen aus dem Hôtel des Invalides geholt hatte, marschierten die Aufständigen zur Bastille, einem Staatsgefängnis, in dem Waffen eingelagert waren. Nachdem der Gouverneur die Masse erst in den Innenhof vordringen ließ, lässt er das Feuer eröffnen. Nachdem die Aufständigen Kanonen auffahren ergibt der Gouverneur sich. Es gab über 90 Tote und obwohl dem Gouverneur Unversehrtheit zugesichert wurde, köpfte ihn die wütende Masse und führte eine Parade mit seinem Kopf auf einer Lanze durch Paris.
Q3) Übersetzter Bericht des Schriftstellers Antoine de Rivarol über den 14. Juli 1789.
In Versailles erfuhr man bald, dass der Pöbel sich zusammen mit der Bürgerwehr auf das Hôtel des Invalides gestürzt und 30,000 Gewehre weggeschleppt hatte und dass er von da aus zur Bastille gezogen war, um weitere Waffen und Munition zu erbeuten. Nach diesen Berichten wurde der Gouverneur, der die Torheit begangen hatte, sich in die äußeren Umwallungen zu begeben und sich nicht um die Zugbrücken zu bekümmern, nach zwei- bis dreistündigen Verhandlungen und einigem Hinundher angegriffen und mit seiner kleinen Truppe von Veteranen zur Übergabe gezwungen. Obgleich die Regierung schuldig war, weil sie gegen das Gewitter, das sich so kräftig angekündigt hatte, keinerlei Maßnahmen ergriffen hatte, war der Gouverneur de Launay nicht weniger tadelnswert, weil er sich auf Verhandlungen mit dem Pöbel eingelassen hatte. Hätte er sich in die Bastille eingeschlossen, wäre er unüberwindlich gewesen. Wie das nun immer auch sein mag: Dieser unglückliche Gouverneur ist für seinen Leichtsinn schwer bestraft worden; das durch seinen Widerstand und den Tod einiger Bürger beim Angriff erregte Volk schleppte ihn zu der Place de Grève und schlug ihm den Kopf ab, nachdem man ihn mit Schlägen und Beschimpfungen überhäuft hatte. Dieser Kopf wurde auf der Spitze einer Lanze durch die Straßen zum Palais Royal getragen. - Darin besteht die ganze Erstürmung der Bastille, die von dem Pariser Pöbel derart gefeiert wird. Geringes Risiko und viel Grausamkeit von seiner Seite und schwere Unbesonnenheit von Seiten de Launays; kurz gesagt: Es war nur eine Inbesitznahme.
Pöbel: (niederes) Volk; Palais Royal: Sammlungsgebäude der Patriotischen Bewegung, gehörte Herzog von Orléans, Cousin des Königs, der sich der Nationalversammlung anschloss.
Inbesitznahme: meint im Text gewaltsame, widerrechtliche Einnahme
Q4) Übersetzter Brief des Journalisten Camille Desmoulins vom 16. Juli 1789 an seinen Vater.
Ich bin, auf die Gefahr, zu ersticken, unters Dach gestiegen. Ich sah dort, will mir scheinen, mindestens hunderttausend Flinten. Ich nehme eine ganz neue, an der ein Bajonett steckte, und zwei Pistolen. Das war am Dienstag (14.7.), der ganze Morgen verging damit, dass man sich bewaffnete. Kaum hat man Waffen, so geht's zur Bastille. Der Gouverneur, der gewiss überrascht war, mit einem Schlag in Paris hunderttausend Flinten mit Bajonetten zu sehen, und nicht wusste, ob diese Waffen vom Himmel gefallen waren, muss sehr in Verwirrung gewesen sein. Man knallt ein oder zwei Stunden drauf los, man schießt herunter, was sich auf den Türmen sehen lässt; der Gouverneur, Graf von Launay, ergibt sich; er lässt die Zugbrücke herunter, man stürzt drauf los; aber er zieht sie sofort wieder hoch und schießt mit Kartätschen drein. Jetzt schlägt die Kanone der Gardes-francaises eine Bresche. Ein Kupferstecher steigt als erster hinauf, man wirft ihn hinunter und bricht ihm die Beine entzwei. Ein Mann von der Garde-francaise ist der nächste, er hat mehr Glück, er packt die Lunte eines Kanoniers und wehrt sich, und binnen einer halben Stunde ist der Platz im Sturm genommen. Ich war beim ersten Kanonenschlag herbeigeeilt, aber, es grenzt ans Wunderbare, um halb drei Uhr war die Bastille schon genommen. Die Bastille hätte sich sechs Monate halten können, wenn sich irgendetwas gegen das französische Ungestüm halten könnte; die Bastille genommen von Bürgersleuten und führerlosen Soldaten, ohne einen einzigen Offizier! Derselbe Gardist, der im Sturm als erster nach oben gekommen war, verfolgt Herrn von Launay, nimmt ihn bei den Haaren und macht ihn zum Gefangenen. Man führt ihn zum Stadthaus und schlägt ihn unterwegs halbtot. Er ist so geschlagen worden, dass es mit ihm zu Ende gehen will; man gibt ihm auf dem Grèveplatz den Rest, und ein Schlächter schneidet ihm den Kopf ab. Den trägt man auf der Spitze einer Pike (...) und ich habe auch sein Herz auf einer Pike gesehen, das man in ganz Paris herumgeführt hat; am Nachmittag knüpfte man den Rest der Besatzung auf, den man mit den Waffen in der Hand ergriffen hatte; man hängte sie an die Laterne des Grèveplatzes.
Kartätsche: Schrotmunition für Kanonen
Gardes-francaises: Truppen des Königs, die sich der Bewegung der Nationalversammlung angeschlossen haben
Q5) Jean-Pierre Houël: Sturm auf die Bastille (1789). https://t1p.de/46oas.