• Geschichte von den Wünschen
  • anonym
  • 12.03.2025
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die Knei­pe=

die Bar

Das Mär­chen vom Glück

von Erich Käst­ner

Sieb­zig war er gut und gern, der alte Mann, der mir in der ver­räu­cher­ten Knei­pe ge­gen­über saß.

Sein Schopf sah aus, als habe es dar­auf ge­schneit, und die Augen blitz­ten wie eine blank ge­feg­te Eis­bahn. „Oh, sind die Men­schen dumm“, sagte er und schüt­tel­te den Kopf, dass ich dach­te, gleich müss­ten Schnee­flo­cken aus sei­nem Haar auf­wir­beln.



„Das Glück ist ja schließ­lich keine Dau­er­wurst, von der man sich täg­lich seine Schei­be her­un­ter­schnei­den kann!“ „Stimmt“, mein­te ich, „das Glück hat ganz und gar nichts Ge­räu­cher­tes an sich. Ob­wohl …“

„Ob­wohl!?“

„Ob­wohl ge­ra­de Sie aus­se­hen, als hinge bei Ihnen zu Hause der Schin­ken des Glücks im Rauch­fang.“



„Ich bin eine Aus­nah­me“, sagte er und trank einen Schluck. „Ich bin die Aus­nah­me. Ich bin näm­lich der Mann, der einen Wunsch frei hat.“ Er blick­te mir prü­fend ins Ge­sicht, und dann er­zähl­te er seine Ge­schich­te.



„Das ist lange her“, be­gann er und stütz­te den Kopf in beide Hände, „Sehr lange. Vier­zig Jahre.

Ich war noch jung und litt am Leben wie an einer ge­schwol­le­nen Backe.

Da setz­te sich, als ich eines Mit­tags ver­bit­tert auf einer grü­nen Park­bank hock­te, ein alter Mann neben mich und sagte bei­läu­fig: ‚Also gut. Wir haben es uns über­legt. Du hast drei Wün­sche frei.‘



Ich starr­te in meine Zei­tung und tat, als hätte ich nichts ge­hört. ‚Wünsch dir, was du willst‘, fuhr er fort, ‚die schöns­te Frau oder das meis­te Geld oder den größ­ten Schnurr­bart, das ist deine Sache. Aber werde end­lich glück­lich! Deine Un­zu­frie­den­heit geht uns auf die Ner­ven.‘

Er sah aus wie der Weih­nachts­mann in Zivil. Wei­ßer Voll­bart, rote Ap­fel­bäck­chen, Au­gen­brau­en wie aus Christ­baum­wat­te. Gar nichts Ver­rück­tes. Viel­leicht ein biss­chen zu gut­mü­tig.

Nach­dem ich ihn ein­ge­hend be­trach­tet hatte, starr­te ich wie­der in meine Zei­tung.

‚Ob­wohl es uns nichts an­geht, was du mit dei­nen drei Wün­schen machst‘, sagte er ‚wäre es na­tür­lich kein Feh­ler, wenn du dir die An­ge­le­gen­heit vor­her genau über­leg­test. Denn drei Wün­sche sind nicht vier Wün­sche oder fünf, son­dern drei. Und wenn du hin­ter­her noch immer nei­disch und un­glück­lich wärst, könn­ten wir dir und uns nicht mehr hel­fen.

der Schopf =die Haare,die Fri­sur

die Dau­er­wurst= Harte Wurst, die lange hält.

be­son­ders glück­lich

ge­schwol­len~ ent­zun­den

ver­bit­tert = ent­täuscht, un­glück­lich

in Zivil = ohne Uni­form, pri­vat

gut­mü­tig=mild, ge­dul­dig

es geht mich nichts an= nicht meine Auf­ga­be

‘Ich weiß nicht, ob Sie sich in meine Lage ver­set­zen kön­nen. Ich saß auf einer Bank und ha­der­te mit Gott und der Welt. In der Ferne klin­gel­ten die Stra­ßen­bah­nen. Die Wacht­pa­ra­de zog ir­gend­wo mit Pau­ken und Trom­pe­ten zum Schloss. Und neben mir saß nun die­ser alte

Quatsch­kopf!“



„Sie wur­den wü­tend?“



„Ich wurde wü­tend. Mir war zu­mu­te wie einem Kes­sel kurz vorm Zer­plat­zen. Und als er sein weiß wat­tier­tes Groß­va­ter­münd­chen von neuem auf­ma­chen woll­te, stieß ich zorn­zit­ternd

her­vor: Damit Sie alter Esel mich nicht län­ger duzen, nehme ich mir die Frei­heit, mei­nen ers­ten und in­nigs­ten Wunsch aus­zu­spre­chen: Sche­ren Sie sich zum Teu­fel!‘ Das war nicht fein und höf­lich, aber ich konn­te ein­fach nicht an­ders. Es hätte mich sonst zer­ris­sen.“

„Und?“

„Was, und?“

„War er weg?“

„Ach so! Na­tür­lich war er weg! Wie fort­ge­weht. In der glei­chen Se­kun­de. In nichts auf­ge­löst.



Ich guck­te sogar unter die Bank. Aber dort war er auch nicht. Mir wurde ganz übel vor lau­ter Schreck. Die Sache mit den Wün­schen schien zu stim­men!

Und der erste Wunsch hatte sich be­reits er­füllt! Du meine Güte!

Und wenn er sich er­füllt hatte, dann war der gute, liebe, brave Groß­pa­pa, wer er nun auch sein moch­te, nicht nur weg, nicht nur von mei­ner Bank ver­schwun­den, nein, dann war er beim Teu­fel! Dann war er in der Hölle.



‚Sei nicht al­bern‘, sagte ich zu mir sel­ber. ‚Die Hölle gibt es ja gar nicht, und den Teu­fel auch nicht.‘ Aber die drei Wün­sche, gab's denn die? Und trotz­dem war der alte Mann, kaum hatte ich's ge­wünscht, ver­schwun­den …

Mir wurde heiß und kalt. Mir schlot­ter­ten die Knie. Was soll­te ich ma­chen?

Der alte Mann muss­te wie­der her, ob's nun eine Hölle gab oder nicht. Das war ich ihm schul­dig. Ich muss­te mei­nen zwei­ten Wunsch dran­set­zen, den zwei­ten von drei­en, o ich Ochse!

Oder soll­te ich ihn las­sen, wo er war?

Mit sei­nen hüb­schen, roten Ap­fel­bäck­chen?

‚Brat­ap­fel­bäck­chen‘, dach­te ich schau­dernd. Mir blieb keine Wahl.



Ich schloss die Augen und flüs­ter­te ängst­lich: ‚Ich wün­sche mir, dass der alte Mann wie­der neben mir sitzt!‘ Wis­sen Sie, ich habe mir jah­re­lang, bis in den Traum hin­ein, die bit­ters­ten Vor­wür­fe ge­macht, dass ich den zwei­ten Wunsch auf diese Weise ver­schleu­dert habe, doch ich sah da­mals kei­nen Aus­weg. Es gab ja kei­nen.“

ha­dern= zwei­feln, un­si­cher sein

der Kes­sel = der Be­häl­ter,

der Topf

zit­tern vor Zorn= sehr wü­tend

Vom Wind ver­weht

al­bern=dumm, lä­cher­lich

schlot­tern= zit­tern

sich Vor­wür­fe ma­chen= einen Feh­ler be­reu­en, sich dar­über är­gern

Der Aus­weg= Die Lö­sung

„Und?“

„Was‚ und?“

„War er wie­der da?“

„Ach so! Na­tür­lich war er wie­der da! In der nächs­ten Se­kun­de. Er saß wie­der neben mir, als wäre er nie fort ge­we­sen. Das heißt, man sah's ihm schon an, dass er … dass er ir­gend­wo ge­we­sen war, wo es ver­teu­felt, ich meine, wo es sehr heiß sein muss­te. O ja. Die bu­schi­gen, wei­ßen Au­gen­brau­en waren ein biss­chen ver­brannt. Und der schö­ne Voll­bart hatte auch etwas ge­lit­ten. Be­son­ders an den Rän­dern. Au­ßer­dem roch's wie nach ver­seng­ter Gans.



Er blick­te mich vor­wurfs­voll an. Dann zog er ein Bart­bürst­chen aus der Brust­ta­sche, putz­te sich Bart und Brau­en und sagte ge­kränkt: ‚Hören Sie, jun­ger Mann, fein war das nicht von Ihnen!‘ Ich stot­ter­te

eine Ent­schul­di­gung. Wie Leid es mir täte. Ich hätte doch nicht an die drei Wün­sche ge­glaubt.

Und au­ßer­dem hätte ich im­mer­hin ver­sucht, den Scha­den wie­der gut­zu­ma­chen. ‚Das ist rich­tig‘,

mein­te er. ‚Es wurde aber auch höchs­te Zeit.‘ Dann lä­chel­te er. Er lä­chel­te so freund­lich, dass mir

fast die Trä­nen kamen.



Nun haben Sie nur noch einen Wunsch frei‘, sagte er. ‚Den drit­ten. Mit ihm gehen Sie hof­fent­lich ein biss­chen vor­sich­ti­ger um. Ver­spre­chen Sie mir das?‘ Ich nick­te und schluck­te. ‚Ja‘, ant­wor­te­te ich dann, ‚aber nur, wenn Sie mich wie­der duzen.‘ Da muss­te er la­chen. ‚Gut, mein Junge‘, sagte er und gab mir die Hand. ‚Leb wohl. Sei nicht allzu un­glück­lich. Und gib auf dei­nen letz­ten Wunsch acht.‘ ‚Ich ver­spre­che es Ihnen‘, er­wi­der­te ich fei­er­lich. Doch er war schon weg. Wie fort­ge­bla­sen.“

„Und?“

„Was‚ und?“

„Seit­dem sind Sie glück­lich?“

„Ach so. Glück­lich?“

Mein Nach­bar stand auf, nahm Hut und Man­tel vom Gar­de­ro­ben­ha­ken, sah mich mit sei­nen blitz­blan­ken Augen an und sagte: „Den letz­ten Wunsch hab' ich vier­zig Jahre lang nicht an­ge­rührt. Manch­mal war ich nahe daran. Aber nein. Wün­sche sind nur gut, so­lan­ge man sie noch vor sich hat. Leben Sie wohl.“

Ich sah vom Fens­ter aus, wie er über die Stra­ße ging. Die Schnee­flo­cken um­tanz­ten ihn. Und er hatte ganz ver­ges­sen, mir zu sagen, ob we­nigs­tens er glück­lich sei. Oder hatte er mir ab­sicht­lich

nicht ge­ant­wor­tet?

Das ist na­tür­lich auch mög­lich.

ver­sengt= leicht ver­brannt

stot­tern= nicht flüs­sig spre­chen

acht­ge­ben auf= auf­pas­sen, auf­merk­sam sein

an­rüh­ren= be­rüh­ren, ver­wen­den, an­spre­chen

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