• Ist Gott tot?
  • Ivan Galan
  • 05.01.2021
  • Ethik
  • 10
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Letzte  Woche haben wir die allgemeine Grundzüge kennengelernt, welche eine Religion aufweisen muss, um als solche gelten zu dürfen. Wir wollen heute unser Verständnis von der Kulturinstitution "Religion" mithilfe eines ihrer berühmtesten Kritiker vertiefen. Gemeint ist Friedrich Nietzsche, dessen Kritik an der Moral so wirkungsvoll gewesen ist, dass sie sogar die heutigen theologischen Auseinandersetzungen prägend bestimmt.  

Friedrich Nietzsche: Kurzeinführung in Leben und Werk

Friedrich Nietzsche (1844-1900) ist einer der einflußreichsten Philosophen des XIX. Jh. Im Zentrum seines Schrifttums befindet sich der Kampf gegen die Moral im Allgemeinen und die christliche Moral im Besonderen.

Nietzsche wirft dem Christentum vor, negative, d. h. verneinende Werte zur Grundlage zu haben. So strebe die dem Christentum zugrunde liegende Moral, dem Menschen mit Gedanken wie Schuld und Sünde ein schlechtes Gewissen zu machen und auf diesem Weg zu erziehen (beherrschen). Darüber hinaus beruhe jede Moral in der lebensverneinenden Askese, was letztendlich zum Nihilismus geführt hatte. Den asketischen und die Welt entzaubernden Formen der Moral setzt Nietzsche öfters die griechische Religion entgegen.













Friedrich Nietzsche porträtiert von Edvard Munch (1906)

Die Griechen pflegten, so Nietzsche, eine sinnliche Religion, die weit weg davon entfernt, das Leben mit Gefühlen der Reue und einem schlechten Gewissen zu belasten und verunreinigen, es verherrlichen und bejahen.  



Da Nietzsche den Aphorismus als philosophisches Ausdrucksmittel wählte, ist es sehr schwierig, sein Werk in eine bestimmte Denkströmung eindeutig und ein für alle Mal einzuordnen. Er gilt als Lebensphilosoph, Kulturphilosoph und Religionskritiker.

Nietzsche oder die Kunst, in Aphorismen zu denken

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Was ist ein Aphorismus?
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Verwende das nächste Blatt, um deine Antworte einzutragen

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Lies folgende Aphorismen und Kreuze das Kästchen an, das für den jeweiligen richtigen Urheber steht!

Sobald der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm Vieles entgegen.

Es gibt nichts demokratischeres als einen Fernsehapparat. Man kann einschalten, umschalten und abschalten.

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

Die Aphorismen des Nietzsche

Nicht alle Aphorismen beschränken sich auf einen kurzen Satz. Nietzsches Aphorismen sind vielfältig. Einige umfassen einen einzigen Satz, andere, wie der unten stehende, bilden kleine poetische Erzählungen, die durch ihren Stil und Inhalt Anspielungen auf klassische Werke der Philosophie und Tragödie    

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Lies Nietzsches Texte aufmerksam und hebe die wichtigsten Stellen hervor!

Der tolle Mensch

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Der „tolle Mensch“ sucht nach Gott. Da er ihn nicht findet, kommt er zu dem Schluss, die Menschen hätten ihn umgebracht. Die auf dem Marktplatz Versammelten sind irritiert und sprachlos angesichts seiner Anschuldigungen. Auf seine Fragen haben sie keine Antworten.

Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: »Ich suche Gott! Ich suche Gott!« – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien […] durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. »Wohin ist Gott?« rief er, »ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? […] Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern […] werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!« – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden […] »Ich komme zu früh«, sagte er dann, »ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis […] ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit […] Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!« – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei […] Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: »Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?«

Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, drittes Buch, Aphorismus Nr. 125.

Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: »Ich suche Gott! Ich suche Gott!« – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien […] durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. »Wohin ist Gott?« rief er, »ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? […] Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern […] werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!« – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden […] »Ich komme zu früh«, sagte er dann, »ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis […] ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit […] Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!« – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei […] Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: »Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?«

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Der „tolle Mensch“ sucht nach Gott. Da er ihn nicht findet, kommt er zu dem Schluss, die Menschen hätten ihn umgebracht. Die auf dem Marktplatz Versammelten sind irritiert und sprachlos angesichts seiner Anschuldigungen. Auf seine Fragen haben sie keine Antworten.





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Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, drittes Buch, Aphorismus Nr. 125.
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, drittes Buch, Aphorismus Nr. 125.

Was es mit unsrer Heiterkeit auf sich hat

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Im diesem Aphorismus spricht Nietzsche über die Folgen von Tod Gottes.

[…] seine Folgen für uns sind, umgekehrt als man vielleicht erwarten könnte, durchaus nicht traurig und verdüsternd, vielmehr wie eine neue schwer zu beschreibende Art von Licht, Glück, Erleichterung, Erheiterung, Ermutigung, Morgenröte... In der Tat, wir Philosophen und »freien Geister« fühlen uns bei der Nachricht, daß der »alte Gott tot« ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt; unser Herz strömt dabei über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung – endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, gesetzt selbst, daß er nicht hell ist, endlich dürfen unsre Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer liegt wieder offen da, vielleicht gab es noch niemals ein so »offnes Meer«.

Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, fünftes Buch, Aphorismus Nr. 343.

[…] seine Folgen für uns sind, umgekehrt als man vielleicht erwarten könnte, durchaus nicht traurig und verdüsternd, vielmehr wie eine neue schwer zu beschreibende Art von Licht, Glück, Erleichterung, Erheiterung, Ermutigung, Morgenröte... In der Tat, wir Philosophen und »freien Geister« fühlen uns bei der Nachricht, daß der »alte Gott tot« ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt; unser Herz strömt dabei über von Dankbarkeit, Erstaunen, Ahnung, Erwartung – endlich erscheint uns der Horizont wieder frei, gesetzt selbst, daß er nicht hell ist, endlich dürfen unsre Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer liegt wieder offen da, vielleicht gab es noch niemals ein so »offnes Meer«.

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Im diesem Aphorismus spricht Nietzsche über die Folgen von Tod Gottes.





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Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, fünftes Buch, Aphorismus Nr. 343.
Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, fünftes Buch, Aphorismus Nr. 343.
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Erläutere Nietzsches Reaktion auf Gottes Tod im Text Nr. 2
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Erkläre, warum der Tod Gottes bewirkt, dass uns der Horizont frei wieder erscheinen kann?
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Nimm Stellung zu dem im Text Nr. 1. vom tollen Menschen verkündeten Tod Gottes, indem Du mit Verweis auf den Text (sieh insbesondere Zeilen 11. bis 15.) die Konsequenzen zeigst, die dieser für den Menschen hat.
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