• Johann Peter Hebel: Der geheilte Patient
  • anonym
  • 10.05.2024
  • Deutsch
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Jo­hann Peter Hebel: „Der ge­heil­te Pa­ti­ent“



Rei­che Leute haben trotz ihrer gel­ben Vögel doch manch­mal auch al­ler­lei Las­ten und Krank­hei­ten aus­zu­ste­hen, von denen gott­lob der arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krank­hei­ten, die nicht in der Luft ste­cken, son­dern in den vol­len Schüs­seln und Glä­sern und in den wei­chen Ses­seln und sei­de­nen Bet­ten, wie jener rei­che Ams­ter­da­mer ein Wort davon reden kann.​ ​ Den gan­zen Vor­mit­tag saß er im Lehn­ses­sel und rauch­te Tabak, wenn er nicht zu faul war, oder hatte Maul­af­fen feil​[​1​]​ zum Fens­ter hin­aus, aß aber zu Mit­tag doch wie ein Dre­scher​[​2​]​, und die Nach­barn sag­ten manch­mal: „Win­det's drau­ßen oder schnauft der Nach­bar so?“ Den gan­zen Nach­mit­tag aß und trank er eben­falls bald etwas Kal­tes, bald etwas War­mes, ohne Hun­ger und ohne Ap­pe­tit, aus lau­ter Lan­ge­wei­le bis an den Abend, so dass man bei ihm nie recht sagen konn­te, wo das Mit­tag­essen auf­hör­te und wo das Nacht­es­sen an­fing. Nach dem Nacht­es­sen legte er sich ins Bett und war so müd, als wenn er den gan­zen Tag Stei­ne ab­ge­la­den oder Holz ge­spal­ten hätte. Davon bekam er zu­letzt einen di­cken Leib, der so un­be­hol­fen​[​3​]​ war wie ein Sack. Essen und Schlaf woll­ten ihm nim­mer schme­cken, und er war lange Zeit, wie es manch­mal geht, nicht recht ge­sund und nicht recht krank​;​ wenn man aber ihn sel­ber hörte, so hatte er 365 Krank­hei­ten, näm­lich alle Tage eine an­de­re.

Alle Ärzte, die in Ams­ter­dam sind, muss­ten ihm raten. Er ver­schluck­te ganze Feu­er­ei­mer​[​4​]​ voll Mix­tu­ren und ganze Schau­feln voll Pul­ver und Pil­len wie En­ten­ei­er so groß, und man nann­te ihn zu­letzt scherz­wei­se nur die zwei­bei­ni­ge Apo­the­ke. Aber alles Dok­tern half ihm nichts, denn er be­folg­te nicht, was ihm die Ärzte be­fah­len, son­dern sagte: „Wofür bin ich ein rei­cher Mann, wenn ich leben soll wie ein Hund, und der Dok­tor will mich nicht ge­sund ma­chen für mein Geld?“

End­lich hörte er von einem Arzt, der hun­dert Stun­den weit weg wohn­te, der sei so ge­schickt, dass die Kran­ken ge­sund wür­den, wenn er sie nur recht an­schaue, und der Tod geh' ihm aus dem Wege, wo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt fass­te der Mann ein Zu­trau­en​[​5​]​ und schrieb ihm sei­nen Um­stand. Der Arzt merk­te bald, was ihm fehl­te, näm­lich nicht Arz­nei, son­dern Mä­ßig­keit und Be­we­gung, und sagte: „Wart', dich will ich bald ku­riert​[​6​]​ haben.“ Des­we­gen schrieb er ihm ein Brief­lein fol­gen­den In­halts:

„Guter Freund,

Ihr habt einen schlim­men Um­stand, doch wird Euch zu hel­fen sein, wenn Ihr fol­gen wollt.

Ihr habt ein böses Tier im Bauch, einen Lind­wurm​[​7​]​ mit sie­ben Mäu­lern. Mit dem Lind­wurm muss ich sel­ber reden, und Ihr müsst zu mir kom­men.









[​1​]​ „Maul­af­fen feil hal­ten“ = In der Ge­gend her­um­schau­en, ohne etwas zu ar­bei­ten

[​2​]​ Auf einem Bau­ern­hof muss­te man frü­her das Korn dre­schen (=Wei­zen­kör­ner aus den Ähren her­aus­schla­gen). Weil das so an­stren­gend war, waren die Dre­scher da­nach oft sehr hung­rig.

[​3​]​ Un­be­weg­lich, un­ge­schickt

[​4​]​ Gro­ßer Eimer vol­ler Sand, der neben dem Ofen stand.

[​5​]​ Er fasst Ver­trau­en, glaubt an ihn

[​6​]​ ge­heilt

[​7​]​ An­de­res Wort für Dra­che​/​Fa­bel­we­sen

Aber für's erste, so dürft Ihr nicht fah­ren oder auf dem Röss­lein​[​1​]​ rei­ten, son­dern auf des Schuh­ma­chers​ ​ Rap­pen​[​2​]​, sonst schüt­telt Ihr den Lind­wurm, und er beißt Euch die Ein­ge­wei­de ab, sie­ben Därme auf ein­mal ganz ent­zwei​[​3​]​. Fürs an­de­re dürft Ihr nicht mehr essen als zwei­mal des Tages einen Tel­ler voll Gemüs, mit­tags ein Brat­würst­lein dazu, und nachts ein Ei, und am Mor­gen ein Fleisch­süpp­lein mit Schnitt­lauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon wird nur der Lind­wurm grö­ßer, so dass er Euch die Leber ver­drückt, und der Schnei­der hat Euch nim­mer viel an­zu­mes­sen​[​4​]​, aber der Schrei­ner​[​5​]​. Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im an­de­ren Früh­jahr den Ku­ckuck nim­mer schrei­en. Tut, was Ihr wollt!“

Als der Pa­ti­ent so mit sich reden hörte, ließ er sich so­gleich den an­de­ren Mor­gen die Stie­fel sal­ben und mach­te sich auf den Weg, wie ihm der Dok­tor be­foh­len hatte. Den ers­ten Tag ging es so lang­sam, dass eine Schne­cke hätte kön­nen sein Vor­rei­ter sein, und wer ihn grüß­te, dem dank­te er nicht, und wo ein Würm­lein auf der Erde kroch, das zer­trat er. Aber schon am zwei­ten und am drit­ten Mor­gen kam es ihm vor, als wenn die Vögel schon lange nim­mer so lieb­lich ge­sun­gen hät­ten, und der Tau schien ihm so frisch und die Korn­ro­sen im Felde so rot, und alle Leute, die ihm be­geg­ne­ten, sahen so freund­lich aus, und er auch​;​ und alle Mor­gen, wenn er aus der Her­ber­ge aus­ging, war's schö­ner, und er ging leich­ter und mun­te­rer dahin, und als er am acht­zehn­ten Tage in der Stadt des Arz­tes an kam und den an­de­ren Mor­gen auf­stand, war es ihm so wohl, dass er sagte: „Ich hätte zu kei­ner un­ge­schick­te­ren Zeit kön­nen ge­sund wer­den als jetzt, wo ich zum Dok­tor soll. „Wenn's mir doch nur ein wenig in den Ohren braus­te, oder das Herz­was­ser lief' mir.“

Als er zum Dok­tor kam, nahm ihn der Dok­tor bei der Hand und sagte ihm: „Jetzt er­zählt mir denn noch ein­mal von Grund aus, was Euch fehlt.“ Da sagte er: „Herr Dok­tor, mir fehlt gott­lob nichts, und wenn Ihr so ge­sund seid wie ich, so soll's mich freu­en.“ Der Dok­tor sagte: „Das hat Euch ein guter Geist ge­ra­ten, daß Ihr mei­nem Rat ge­folgt habt. Der Lind­wurm ist jetzt ab­ge­stan­den. Aber Ihr habt noch Eier im Leib, des­we­gen müßt Ihr wie­der zu Fuß heim­ge­hen und da­heim flei­ßig Holz sägen und nicht mehr essen, als Euch der Hun­ger er­mahnt, damit die Eier nicht aus­schlup­fen, so könnt Ihr ein alter Mann wer­den“, und lä­chel­te dazu. Aber der rei­che Fremd­ling sagte: „Herr Dok­tor, Ihr seid ein fei­ner Kauz​[​6​]​, und ich ver­steh Euch wohl', und hat nach­her dem Rat ge­folgt und sie­ben­und­acht­zig Jahre, vier Mo­na­te, zehn Tage ge­lebt, wie ein Fisch im Was­ser so ge­sund, und hat alle Neu­jahr dem Arzt zwan­zig Du­blo­nen zum Gruß ge­schickt.“

















[​1​]​ Pferd

[​2​]​ Zu Fuß

[​3​]​ aus­ein­an­der, ka­putt

[​4​]​ frü­her ließ man sich Klei­der beim Schnei­der nähen, dazu muss­te die­ser zuvor den Kun­den ver­mes­sen (Arm­län­ge, Brust­um­fang,…)

[​5​]​ das Ein­zi­ge, was ein Schrei­ner an­misst, ist ein Sarg

[​6​]​ ein Kauz ist ei­gent­lich eine Eule, be­zeich­net hier aber einen „auf lie­bens­wer­te Weise son­der­ba­ren Men­schen“

4.​ ​ ​ ​ ​ ​ ​ Le­se­auf­ga­ben

a)​ ​Mar­kie­re im Text In­for­ma­ti­o­nen über den Ta­ges­ab­lauf des Man­nes rot.

b) Stel­le diese In­for­ma­ti­o­nen in einer Ta­bel­le dar.













mor­gens

mit­tags

abends

Zum Be­ar­bei­ten der Zelle dop­pelt kli­cken

c) Mar­kie­re die im Text be­schrie­be­nen Fol­gen sei­ner Le­bens­wei­se blau. Fasse diese kurz in ei­ge­nen Wor­ten zu­sam­men.

d)​ ​ ​Öffne in Mood­le Quiz Nr. 1 und be­ant­wor­te die Fra­gen zum Text. Du kannst dazu immer wie­der zur Seite mit der Ka­len­der­ge­schich­te zu­rück­keh­ren und noch­mals nach­le­sen.

e) Samm­le In­for­ma­ti­o­nen, die zei­gen, wie sich der Mann auf der Wan­de­rung ver­än­dert. Ko­pie­re oder schrei­be dazu pas­sen­de Text­stel­len mit Zei­len­an­ga­be in die Ta­bel­le.

zu Be­ginn der Wan­de­rung

wäh­rend​/​am Ende der Wan­ge­rung

Zum Be­ar­bei­ten der Zelle dop­pelt kli­cken

SHIFT für Mehr­fach­aus­wahl

f) Wie er­klärst du dir diese Ver­än­de­run­gen? Schrei­be deine Idee hier auf:

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