Online Artikel der Bundesregierung (bundesregierung.de) 7. Oktober 1989 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit - Jubel und Prügel zum DDR-Jubiläum
Demonstration gegen das Regime
Am 40. Jahrestag der DDR soll eine Militärparade noch einmal die Stärke des Sozialismus beweisen. Doch viele Menschen wollen dem bestellten Jubel etwas entgegensetzen.
Sie sammeln sich auf dem Berliner Alexanderplatz, um auch an diesem Tag gegen die gefälschten Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 zu protestieren. Binnen kürzester Zeit schließen sich mehrere tausend Menschen an. Es gelingt ihnen, in die Nähe des Palastes der Republik
zu kommen. Wir sind das Volk!
und Gorbi, hilf!
, rufen sie.
Nach etwa einer Stunde setzt sich der Demonstrationszug in Richtung Gethsemanekirche in Bewegung. In dieser Kirche am Prenzlauer Berg halten Menschen seit einigen Tagen eine Mahnwache für die Inhaftierten in Leipzig. Die Polizei errichtet Sperren, Anti-Terror-Einheiten der Stasi prügeln mit Knüppeln auf Demonstranten ein.
Die Bürgerrechtler hätten das DDR-Jubiläum ganz bewusst für ihre Demonstrationen genutzt, sagt der Bürgerrechtler Arnold Vaatz heute. Sie seien sich sicher gewesen, dass es im Windschatten
des DDR-Jubiläums wahrscheinlich nicht zur Gewalttaten kommen würde. Diese Tage wollten sie nutzen, um aus der Präsenz auf der Straße eine permanente Angelegenheit zu machen
.
Über 1.000 Verhaftete
Bis in die späte Nacht dauert die Jagd an. Polizei und Stasi setzen Wasserwerfer, Reizgas und Schlagringe ein, verschaffen sich brutal Zugang zu Wohnungen, in denen sie geflüchtete Demonstranten vermuten. Am 8. Oktober, einem Sonntag, findet die Gewalt ihre Fortsetzung. Unter denen, die die Brutalität der Sicherheitsorgane
zu spüren bekommen, sind viele Unbeteiligte.
Insgesamt 1.071 Zuführungen
, wie Festnahmen im Stasi-Jargon heißen, gibt es an den beiden Tagen. Die Festgenommenen werden in überfüllte Zuführungspunkte
gepfercht, teilweise misshandelt, einige müssen ein wahres Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen.
Demonstration gegen das Regime
Am 40. Jahrestag der DDR soll eine Militärparade noch einmal die Stärke des Sozialismus beweisen. Doch viele Menschen wollen dem bestellten Jubel etwas entgegensetzen.
Sie sammeln sich auf dem Berliner Alexanderplatz, um auch an diesem Tag gegen die gefälschten Kommunalwahl vom 7. Mai 1989 zu protestieren. Binnen kürzester Zeit schließen sich mehrere tausend Menschen an. Es gelingt ihnen, in die Nähe des Palastes der Republik
zu kommen. Wir sind das Volk!
und Gorbi, hilf!
, rufen sie.
Nach etwa einer Stunde setzt sich der Demonstrationszug in Richtung Gethsemanekirche in Bewegung. In dieser Kirche am Prenzlauer Berg halten Menschen seit einigen Tagen eine Mahnwache für die Inhaftierten in Leipzig. Die Polizei errichtet Sperren, Anti-Terror-Einheiten der Stasi prügeln mit Knüppeln auf Demonstranten ein.
Die Bürgerrechtler hätten das DDR-Jubiläum ganz bewusst für ihre Demonstrationen genutzt, sagt der Bürgerrechtler Arnold Vaatz heute. Sie seien sich sicher gewesen, dass es im Windschatten
des DDR-Jubiläums wahrscheinlich nicht zur Gewalttaten kommen würde. Diese Tage wollten sie nutzen, um aus der Präsenz auf der Straße eine permanente Angelegenheit zu machen
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Über 1.000 Verhaftete
Bis in die späte Nacht dauert die Jagd an. Polizei und Stasi setzen Wasserwerfer, Reizgas und Schlagringe ein, verschaffen sich brutal Zugang zu Wohnungen, in denen sie geflüchtete Demonstranten vermuten. Am 8. Oktober, einem Sonntag, findet die Gewalt ihre Fortsetzung. Unter denen, die die Brutalität der Sicherheitsorgane
zu spüren bekommen, sind viele Unbeteiligte.
Insgesamt 1.071 Zuführungen
, wie Festnahmen im Stasi-Jargon heißen, gibt es an den beiden Tagen. Die Festgenommenen werden in überfüllte Zuführungspunkte
gepfercht, teilweise misshandelt, einige müssen ein wahres Spießrutenlaufen über sich ergehen lassen.
Online Artikel der Bundesregierung (bundesregierung.de) 7. Oktober 1989 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit - Jubel und Prügel zum DDR-Jubiläum
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Auszug eines Interviews von Tina Krone, Leiterin des Archivs der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin
Dann kam der 9. Oktober und alle schauten nach Leipzig. Die Situation war sehr angespannt, es war klar, die Regierenden wollten ein Exempel statuieren. Trotz der Verhaftungen hatten sich immer mehr Menschen an den Montagsdemos beteiligt. Alle spürten: An diesem Montag fällt die Entscheidung. Ich habe den ganzen Tag Westradio gehört, die DDR-Sender haben natürlich nichts berichtet. Aus Leipzig erreichten uns Gerüchte, dass Blutkonserven geordert worden seien, das Eltern ihre Kinder aus den Kindergärten bis 15 Uhr abholen sollten, dass die Geschäfte in der Innenstadt schließen würden. Angeblich war die NVA schon in Alarmzustand, irgendwer hatte schon Panzer gesichtet. Es wurde Angst verbreitet, und die übertrug sich auf die ganze DDR. So wollte die Staatsmacht die Demonstration verhindern. Aber das Konzept ging nicht auf, die Leute kamen erst recht.
So war es ein Tag, an dem alle das Gefühl hatten, sich entscheiden zu müssen: für oder gegen Veränderungen. Viele sagten später, sie hätten es nicht verantworten können – weder vor sich, noch ihren Kindern gegenüber –, an diesem Montag nicht Farbe bekannt zu haben.
Dann kam der 9. Oktober und alle schauten nach Leipzig. Die Situation war sehr angespannt, es war klar, die Regierenden wollten ein Exempel statuieren. Trotz der Verhaftungen hatten sich immer mehr Menschen an den Montagsdemos beteiligt. Alle spürten: An diesem Montag fällt die Entscheidung. Ich habe den ganzen Tag Westradio gehört, die DDR-Sender haben natürlich nichts berichtet. Aus Leipzig erreichten uns Gerüchte, dass Blutkonserven geordert worden seien, das Eltern ihre Kinder aus den Kindergärten bis 15 Uhr abholen sollten, dass die Geschäfte in der Innenstadt schließen würden. Angeblich war die NVA schon in Alarmzustand, irgendwer hatte schon Panzer gesichtet. Es wurde Angst verbreitet, und die übertrug sich auf die ganze DDR. So wollte die Staatsmacht die Demonstration verhindern. Aber das Konzept ging nicht auf, die Leute kamen erst recht.
So war es ein Tag, an dem alle das Gefühl hatten, sich entscheiden zu müssen: für oder gegen Veränderungen. Viele sagten später, sie hätten es nicht verantworten können – weder vor sich, noch ihren Kindern gegenüber –, an diesem Montag nicht Farbe bekannt zu haben.
Auszug eines Interviews von Tina Krone, Leiterin des Archivs der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin
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Q1) Wortlaut des Appells in der Leipziger Nikolaikirche, ebenfalls als 30.000 Flugblätter ausgedruckt und verteilt.
Berlin, 9. Okt. 89 — Der am Montag abend in der Leipziger Nikolaikirche verlesene Appell zur Gewaltlosigkeit hat folgenden Wortlaut:
In den letzten Wochen ist es mehrfach in verschiedenen Städten der DDR zu Demonstrationen gekommen, die in Gewalt mündeten. Pflastersteinwürfe, zerschlagene Scheiben, ausgebrannte Autos, Gummiknüppel- und Wasserwerfereinsätze. Es gab eine unbekannte Zahl von Verletzten, von einem Toten ist die Rede. Auch der letzte Montag in Leipzig endete mit Gewalt. Wir haben Angst. Angst um uns selbst, Angst um unsere Freunde, Angst um den Menschen neben uns und Angst um den, der uns da in Uniform gegenübersteht.
Wir haben Angst um die Zukunft unseres Landes. Gewalt schafft immer nur Gewalt. Gewalt löst keine Probleme. Gewalt ist unmenschlich.
Gewalt kann nicht das Zeichen einer neueren, selbstbewußteren Gesellschaft sein.
Wir bitten alle, enthaltet Euch jeder Gewalt. Durchbrecht keine Polizeiketten. Haltet Abstand zu Absperrungen. Greift keine Personen oder Fahrzeuge an. Entwendet keine Kleidung oder Ausrüstungsgegenstände der Einsatzkräfte. Werft keine Gegenstände und enthaltet Euch gewalttätiger Parolen. Seid solidarisch und unterbindet Provokationen. Greift zu friedlichen und phantasievollen Formen des Protestes.
An die Einsatzkräfte appellieren wir: Enthaltet Euch der Gewalt. Reagiert auf Friedfertigkeit nicht mit Gewalt. Wir sind ein Volk. Gewalt unter uns hinterläßt ewig blutende Wunden. Partei und Regierung müssen vor allem für die entstandene Situation verantwortlich gemacht werden. Aber heute ist es an uns, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern. Davon hängt unsere Zukunft ab.
Leipzig, den 09. Oktober 1989
Arbeitskreis Gerechtigkeit, Arbeitsgruppe Menschenrechte, Arbeitsgruppe Umweltschutz.
Quelle: stasi-mediathek.de
Q1) Wortlaut des Appells in der Leipziger Nikolaikirche, ebenfalls als 30.000 Flugblätter ausgedruckt und verteilt.
Berlin, 9. Okt. 89 — Der am Montag abend in der Leipziger Nikolaikirche verlesene Appell zur Gewaltlosigkeit hat folgenden Wortlaut:
In den letzten Wochen ist es mehrfach in verschiedenen Städten der DDR zu Demonstrationen gekommen, die in Gewalt mündeten. Pflastersteinwürfe, zerschlagene Scheiben, ausgebrannte Autos, Gummiknüppel- und Wasserwerfereinsätze. Es gab eine unbekannte Zahl von Verletzten, von einem Toten ist die Rede. Auch der letzte Montag in Leipzig endete mit Gewalt. Wir haben Angst. Angst um uns selbst, Angst um unsere Freunde, Angst um den Menschen neben uns und Angst um den, der uns da in Uniform gegenübersteht.
Wir haben Angst um die Zukunft unseres Landes. Gewalt schafft immer nur Gewalt. Gewalt löst keine Probleme. Gewalt ist unmenschlich.
Gewalt kann nicht das Zeichen einer neueren, selbstbewußteren Gesellschaft sein.
Wir bitten alle, enthaltet Euch jeder Gewalt. Durchbrecht keine Polizeiketten. Haltet Abstand zu Absperrungen. Greift keine Personen oder Fahrzeuge an. Entwendet keine Kleidung oder Ausrüstungsgegenstände der Einsatzkräfte. Werft keine Gegenstände und enthaltet Euch gewalttätiger Parolen. Seid solidarisch und unterbindet Provokationen. Greift zu friedlichen und phantasievollen Formen des Protestes.
An die Einsatzkräfte appellieren wir: Enthaltet Euch der Gewalt. Reagiert auf Friedfertigkeit nicht mit Gewalt. Wir sind ein Volk. Gewalt unter uns hinterläßt ewig blutende Wunden. Partei und Regierung müssen vor allem für die entstandene Situation verantwortlich gemacht werden. Aber heute ist es an uns, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern. Davon hängt unsere Zukunft ab.
Leipzig, den 09. Oktober 1989
Arbeitskreis Gerechtigkeit, Arbeitsgruppe Menschenrechte, Arbeitsgruppe Umweltschutz.
Quelle: stasi-mediathek.de
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