• Übungsklausur Emilia Galotti
  • anonym
  • 24.06.2025
Um die Lizenzinformationen zu sehen, klicken Sie bitte den gewünschten Inhalt an.
1
Ana­ly­sie­ren und in­ter­pre­tie­ren Sie die fol­gen­de Szene aus Gott­hold Ephra­im Les­sings Drama Emi­lia Ga­lot­ti aus dem Jahre 1772.

V. Auf­zug 7. Auf­tritt
2
Er­höh­ter An­for­de­rungs­be­reich:
Be­zie­hen Sie auf Grund­la­ge des Dra­men­tex­tes Stel­lung zu Die­ter Hil­de­brandts These.

Die­ter Hil­de­brandt über die Szene V,7.



Es ist der Mo­ment der Ver­führ­bar­keit; denn wenn ir­gend der Vater Odo­ar­do der Mör­der ist, so hätte ihn seine Toch­ter dazu ge­macht; nicht so­wohl unter dem Ein­druck sei­ner lang­jäh­ri­gen Au­to­ri­tät, son­dern mit der Hand­ha­bung jener jähen Ver­füh­rungs­kraft, über die sie ver­fügt, seit sie deren Macht an sich selbst ver­spürt hat. Ver­füh­rung ist die wahre Ge­walt. Das ist der Schlüs­sel­satz des Dra­mas und einer jener Lessing-​Sätze, deren Wahr­heit unser Jahr­hun­dert immer wie­der so be­schä­mend er­lebt; [...] Ver­füh­rung ist die wahre Ge­walt, und nach­dem Emi­lia die ei­ge­ne Ver­führ­bar­keit so deut­lich er­fah­ren hat, ver­führt sie nun den Vater mit dem schon zi­tier­ten Satz: Ehe­dem wohl gab es einen Vater, der seine Toch­ter von der Schan­de zu ret­ten, ihr den ers­ten den bes­ten Stahl in das Herz senk­te - ihr zum zwei­ten das Leben gab. Aber alle sol­che Taten sind von ehe­dem! Sol­che Väter gibt es kei­nen mehr! Und erst so be­tau­melt, erst so zu einem pa­ni­schen Wi­der­spruch auf­ge­regt, erst so auf ein altes ar­chai­sches Vor­bild hin­ge­ma­tert, lässt sich Odo­ar­do Ga­lot­ti zu der mör­der­si­chen Hand­rei­chung her­bei.



Aus: Die­ter Hil­de­brandt: Les­sing. Bio­gra­phie einer Eman­zi­pa­ti­on. 1979 Carl Han­ser Ver­lag. Mün­chen Wien.

Emi­lia. Odo­ar­do.



Emi­lia. Wie? Sie hier, mein Vater? – Und nur Sie? – Und meine Mut­ter? nicht hier? – Und der Graf? nicht hier? – Und Sie so un­ru­hig, mein Vater?



Odo­ar­do. Und du so ruhig, meine Toch­ter? –



Emi­lia. Warum nicht, mein Vater? – Ent­we­der ist nichts ver­lo­ren: oder alles. Ruhig sein kön­nen und ruhig sein müs­sen: kömmt es nicht auf eines?



Odo­ar­do. Aber, was mei­nest du, daß der Fall ist?



Emi­lia. Daß alles ver­lo­ren ist – und daß wir wohl ruhig sein müs­sen, mein Vater.



Odo­ar­do. Und du wä­rest ruhig, weil du ruhig sein mußt? – Wer bist du? Ein Mäd­chen? und meine Toch­ter? So soll­te der Mann und der Vater sich wohl vor dir schä­men? – Aber laß doch hören. was nen­nest du, alles ver­lo­ren? – Daß der Graf tot ist?



Emi­lia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein Vater? So ist sie wahr, die ganze schreck­li­che Ge­schich­te, die ich in dem nas­sen und wil­den Auge mei­ner Mut­ter las? – Wo ist meine Mut­ter? Wo ist sie hin, mein Vater?



Odo­ar­do. Vor­aus – wenn wir an­ders ihr nach­kom­men.



Emi­lia. Je eher, je bes­ser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er darum tot ist – darum! was ver­wei­len wir noch hier? Las­sen Sie uns flie­hen, mein Vater!



Odo­ar­do. Flie­hen? – Was hätt' es dann für Not? – Du bist, du bleibst in den Hän­den dei­nes Räu­bers.



Emi­lia. Ich blei­be in sei­nen Hän­den?



Odo­ar­do. Und al­lein, ohne deine Mut­ter, ohne mich.



Emi­lia. Ich al­lein in sei­nen Hän­den? – Nim­mer­mehr, mein Vater. – Oder Sie sind nicht mein Vater. – Ich al­lein in sei­nen Hän­den? – Gut, las­sen Sie mich nur, las­sen Sie mich nur. – Ich will doch sehn, wer mich hält – wer mich zwingt – wer der Mensch ist, der einen Men­schen zwin­gen kann.



Odo­ar­do. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind.



Emi­lia. Das bin ich. Aber was nen­nen Sie ruhig sein? Die Hände in den Schoß legen? Lei­den, was man nicht soll­te? Dul­den, was man nicht dürf­te?



Odo­ar­do. Ha! wenn du so den­kest! – Laß dich um­ar­men, meine Toch­ter! – Ich hab es immer ge­sagt: das Weib woll­te die Natur zu ihrem Meis­ter­stü­cke ma­chen. Aber sie ver­griff sich im Tone, sie nahm ihn zu fein. Sonst ist alles bes­ser an euch als an uns. – Ha, wenn das deine Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wie­der­ge­fun­den! Laß dich um­ar­men, meine Toch­ter! – Denke nur: unter dem Vor­wan­de einer ge­richt­li­chen Un­ter­su­chung – o des höl­li­schen Gau­kel­spie­les! – reißt er dich aus un­sern Armen und bringt dich zur Gri­mal­di.



Emi­lia. Reißt mich? bringt mich? – Will mich rei­ßen, will mich brin­gen: will! will! – Als ob wir, wir kei­nen Wil­len hät­ten, mein Vater!



Odo­ar­do. Ich ward auch so wü­tend, daß ich schon nach die­sem Dol­che griff (ihn her­aus­zie­hend), um einem von bei­den – bei­den! – das Herz zu durch­sto­ßen.

Emi­lia. Um des Him­mels wil­len nicht, mein Vater! – Die­ses Leben ist alles, was die Las­ter­haf­ten haben. – Mir, mein Vater, mir geben Sie die­sen Dolch.



Odo­ar­do. Kind, es ist keine Haar­na­del.



Emi­lia. So werde die Haar­na­del zum Dol­che! – Gleich­viel.



Odo­ar­do. Was? Dahin wäre es ge­kom­men? Nicht doch; nicht doch! Be­sin­ne dich. – Auch du hast nur ein Leben zu ver­lie­ren.



Emi­lia. Und nur eine Un­schuld!



Odo­ar­do. Die über alle Ge­walt er­ha­ben ist. –



Emi­lia. Aber nicht über alle Ver­füh­rung. – Ge­walt! Ge­walt! wer kann der Ge­walt nicht trot­zen? Was Ge­walt heißt, ist nichts: Ver­füh­rung ist die wahre Ge­walt. – Ich habe Blut, mein Vater, so ju­gend­li­ches, so war­mes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Gri­mal­di. Es ist das Haus der Freu­de. Eine Stun­de da, unter den Augen mei­ner Mut­ter – und es erhob sich so man­cher Tu­mult in mei­ner Seele, den die strengs­ten Übun­gen der Re­li­gi­on kaum in Wo­chen be­sänf­ti­gen konn­ten! – Der Re­li­gi­on! Und wel­cher Re­li­gi­on? – Nichts Schlim­mers zu ver­mei­den, spran­gen Tau­sen­de in die Flu­ten und sind Hei­li­ge! – Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir die­sen Dolch.



Odo­ar­do. Und wenn du ihn kenn­test, die­sen Dolch! –



Emi­lia. Wenn ich ihn auch nicht kenne! – Ein un­be­kann­ter Freund ist auch ein Freund. – Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn.



Odo­ar­do. Wenn ich dir ihn nun gebe – da! (Gibt ihr ihn.)



Emi­lia. Und da! (Im Be­grif­fe, sich damit zu durch­sto­ßen, reißt der Vater ihr ihn wie­der aus der Hand.)



Odo­ar­do. Sieh, wie rasch! – Nein, das ist nicht für deine Hand.



Emi­lia. Es ist wahr, mit einer Haar­na­del soll ich – (Sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu su­chen, und be­kommt die Rose zu fas­sen.) Du noch hier? – Her­un­ter mit dir! Du ge­hö­rest nicht in das Haar einer – wie mein Vater will, daß ich wer­den soll!



Odo­ar­do. Oh, meine Toch­ter! –



Emi­lia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie er­rie­te! – Doch nein, das wol­len Sie auch nicht. Warum zau­der­ten Sie sonst? – (In einem bit­tern Tone, wäh­rend daß sie die Rose zer­pflückt.) Ehe­dem wohl gab es einen Vater, der seine Toch­ter von der Schan­de zu ret­ten, ihr den ers­ten, den bes­ten Stahl in das Herz senk­te – ihr zum zwei­ten Male das Leben gab. Aber alle sol­che Taten sind von ehe­dem! Sol­cher Väter gibt es kei­nen mehr!



Odo­ar­do. Doch, meine Toch­ter, doch! (Indem er sie durch­sticht.) – Gott, was hab ich getan! (Sie will sin­ken, und er faßt sie in seine Arme.)



Emi­lia. Eine Rose ge­bro­chen, ehe der Sturm sie ent­blät­tert. – Las­sen Sie mich sie küs­sen, diese vä­ter­li­che Hand.

Odo­ar­do. Ha! wenn du so den­kest! – Laß dich um­ar­men, meine Toch­ter! – Ich hab es immer ge­sagt: das Weib woll­te die Natur zu ihrem Meis­ter­stü­cke ma­chen. Aber sie ver­griff sich im Tone, sie nahm ihn zu fein. Sonst ist alles bes­ser an euch als an uns. – Ha, wenn das deine Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wie­der­ge­fun­den! Laß dich um­ar­men, meine Toch­ter! – Denke nur: unter dem Vor­wan­de einer ge­richt­li­chen Un­ter­su­chung – o des höl­li­schen Gau­kel­spie­les! – reißt er dich aus un­sern Armen und bringt dich zur Gri­mal­di.



Emi­lia. Reißt mich? bringt mich? – Will mich rei­ßen, will mich brin­gen: will! will! – Als ob wir, wir kei­nen Wil­len hät­ten, mein Vater!



Odo­ar­do. Ich ward auch so wü­tend, daß ich schon nach die­sem Dol­che griff (ihn her­aus­zie­hend), um einem von bei­den – bei­den! – das Herz zu durch­sto­ßen.

Emi­lia. Um des Him­mels wil­len nicht, mein Vater! – Die­ses Leben ist alles, was die Las­ter­haf­ten haben. – Mir, mein Vater, mir geben Sie die­sen Dolch.



Odo­ar­do. Kind, es ist keine Haar­na­del.



Emi­lia. So werde die Haar­na­del zum Dol­che! – Gleich­viel.



Odo­ar­do. Was? Dahin wäre es ge­kom­men? Nicht doch; nicht doch! Be­sin­ne dich. – Auch du hast nur ein Leben zu ver­lie­ren.



Emi­lia. Und nur eine Un­schuld!



Odo­ar­do. Die über alle Ge­walt er­ha­ben ist. –



Emi­lia. Aber nicht über alle Ver­füh­rung. – Ge­walt! Ge­walt! wer kann der Ge­walt nicht trot­zen? Was Ge­walt heißt, ist nichts: Ver­füh­rung ist die wahre Ge­walt. – Ich habe Blut, mein Vater, so ju­gend­li­ches, so war­mes Blut als eine. Auch meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut. Ich kenne das Haus der Gri­mal­di. Es ist das Haus der Freu­de. Eine Stun­de da, unter den Augen mei­ner Mut­ter – und es erhob sich so man­cher Tu­mult in mei­ner Seele, den die strengs­ten Übun­gen der Re­li­gi­on kaum in Wo­chen be­sänf­ti­gen konn­ten! – Der Re­li­gi­on! Und wel­cher Re­li­gi­on? – Nichts Schlim­mers zu ver­mei­den, spran­gen Tau­sen­de in die Flu­ten und sind Hei­li­ge! – Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir die­sen Dolch.



Odo­ar­do. Und wenn du ihn kenn­test, die­sen Dolch! –



Emi­lia. Wenn ich ihn auch nicht kenne! – Ein un­be­kann­ter Freund ist auch ein Freund. – Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn.



Odo­ar­do. Wenn ich dir ihn nun gebe – da! (Gibt ihr ihn.)



Emi­lia. Und da! (Im Be­grif­fe, sich damit zu durch­sto­ßen, reißt der Vater ihr ihn wie­der aus der Hand.)



Odo­ar­do. Sieh, wie rasch! – Nein, das ist nicht für deine Hand.



Emi­lia. Es ist wahr, mit einer Haar­na­del soll ich – (Sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu su­chen, und be­kommt die Rose zu fas­sen.) Du noch hier? – Her­un­ter mit dir! Du ge­hö­rest nicht in das Haar einer – wie mein Vater will, daß ich wer­den soll!



Odo­ar­do. Oh, meine Toch­ter! –



Emi­lia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie er­rie­te! – Doch nein, das wol­len Sie auch nicht. Warum zau­der­ten Sie sonst? – (In einem bit­tern Tone, wäh­rend daß sie die Rose zer­pflückt.) Ehe­dem wohl gab es einen Vater, der seine Toch­ter von der Schan­de zu ret­ten, ihr den ers­ten, den bes­ten Stahl in das Herz senk­te – ihr zum zwei­ten Male das Leben gab. Aber alle sol­che Taten sind von ehe­dem! Sol­cher Väter gibt es kei­nen mehr!



Odo­ar­do. Doch, meine Toch­ter, doch! (Indem er sie durch­sticht.) – Gott, was hab ich getan! (Sie will sin­ken, und er faßt sie in seine Arme.)



Emi­lia. Eine Rose ge­bro­chen, ehe der Sturm sie ent­blät­tert. – Las­sen Sie mich sie küs­sen, diese vä­ter­li­che Hand.

Emi­lia. Und da! (Im Be­grif­fe, sich damit zu durch­sto­ßen, reißt der Vater ihr ihn wie­der aus der Hand.)



Odo­ar­do. Sieh, wie rasch! – Nein, das ist nicht für deine Hand.



Emi­lia. Es ist wahr, mit einer Haar­na­del soll ich – (Sie fährt mit der Hand nach dem Haare, eine zu su­chen, und be­kommt die Rose zu fas­sen.) Du noch hier? – Her­un­ter mit dir! Du ge­hö­rest nicht in das Haar einer – wie mein Vater will, daß ich wer­den soll!



Odo­ar­do. Oh, meine Toch­ter! –



Emi­lia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie er­rie­te! – Doch nein, das wol­len Sie auch nicht. Warum zau­der­ten Sie sonst? – (In einem bit­tern Tone, wäh­rend daß sie die Rose zer­pflückt.) Ehe­dem wohl gab es einen Vater, der seine Toch­ter von der Schan­de zu ret­ten, ihr den ers­ten, den bes­ten Stahl in das Herz senk­te – ihr zum zwei­ten Male das Leben gab. Aber alle sol­che Taten sind von ehe­dem! Sol­cher Väter gibt es kei­nen mehr!



Odo­ar­do. Doch, meine Toch­ter, doch! (Indem er sie durch­sticht.) – Gott, was hab ich getan! (Sie will sin­ken, und er faßt sie in seine Arme.)



Emi­lia. Eine Rose ge­bro­chen, ehe der Sturm sie ent­blät­tert. – Las­sen Sie mich sie küs­sen, diese vä­ter­li­che Hand.

x